Zu Besuch auf dem Gärtnerhof der Familie Ludewig am Stadtrand von Dresden.

Landwirtschaft betreiben – das war von Anfang an ein hochriskantes Unterfangen. Schon gegen Ende der Jungsteinzeit machte heftige Erosion in Europa weite Landstriche unfruchtbar. Die frühen Bauern hatten bei fortschreitendem Bevölkerungswachstum auch noch die Hänge gerodet und gepflügt, so dass der fruchtbare Boden davongeweht und weggespült wurde. So beschreibt es David Montgomery in seinem eindrucksvolllen Buch »Dreck«. Antiken Hochkulturen erging es nicht besser. Ob Sumer, Griechenland, Rom oder Karthago – irgendwann gab die Erde im eigenen Land nichts mehr her, man lebte von ­Kolonien, und dann dauerte es nicht mehr lange, bis die Großmächte kollabierten. ­Immer dann, wenn dem Boden großflächig Hochleistungserträge abgetrotzt wurden, pflügten sich die Kulturen ihr Grab. Nur wenn Kleinbäuerinnen und -­bauern für ihre Subsistenz und einen angemessenen Überschuss gärtnernd und ackernd ihre Felder und Weiden pflegten, ging es eine Weile lang gut. Gehört eine lebensfreundliche Zukunft also der kleinbäuerlichen Landwirtschaft?

Besuch auf dem Gärtnerhof

An einem sonnigen Herbsttag fahre ich in die Stadt, um aufs Land zu kommen. Am Stadtrand von Dresden, wo sich Felder und Obstbau unter die Bebauung mischen, besuche ich Veit Ludewig auf seinem kleinen Hof. Der 77-Jährige bewirtschaftet einen der wenigen Betriebe in Deutschland, die konsequent nach dem Konzept des »Gärtnerhofs« arbeiten.
Hinter einer naturbelassenen Hecke, von der Straße kaum einsehbar, offenbart sich mir eine vielfältig strukturierte Kulturlandschaft. Der Weg zum Hof führt vorbei an Wiese, Acker und Streuobstflächen. Ich sehe frisch aufgegangenes Wintergetreide, verschiedene Kohlsorten auf dem Feld und Apfelbäume, von denen manche noch der Ernte harren. Von weitem bewundere ich einen kunstvollen Heuschober in der Wiese. Der Weinstock am Zaun hängt über und über voll reifer Trauben. Vor lauter Obstbäumen, Sträuchern und herbstlich leuchtenden Birken kann ich die in einer Senke liegenden Hofgebäude erst erkennen, als ich direkt vor ihnen stehe. Der Dreiseithof besteht aus Wohnhaus, Scheune, Ställen und Werkstätten. Im Hof ­gackern Hühner. Die nahe Großstadt habe ich völlig hinter mir gelassen.

Veit und Inga Ludewig bitten mich in ihr schlichtes und gemütliches Heim. Ein Kachelofen verbreitet wohlige Wärme. Zahlreiche gefüllte Bücherregale verraten vielseitig interessierte Leser. Die großen, zur Sonne ausgerichteten Fenster geben den Blick auf einen kleinen, herbstlich bunten Garten mit Teich frei. Auf dem Tisch steht eine Kanne Tee. Veit Ludewig erzählt ein wenig aus der Geschichte des Hofs: Als er 1964 begann, auf dem familieneigenen Grundstück mitzuarbeiten, waren chemische Düngemittel seit einigen Jahren in Mode gekommen. Damals beobachtete er auf den Feldern, dass ein ihm vorher unbekannter, bedenklicher Schädlingsbefall vor allem durch Blattläuse auftrat, insbesondere auf chemisch gedüngten Flächen mit schnell und üppig wachsenden Pflanzen. Außerdem zeigten sich auf diesen Flächen Bodenverkrustungen, die es vorher nicht gegeben hatte.

Er wurde auf Bücher zur Kompostwirtschaft aufmerksam, die Ende der 50er Jahre erstmals erschienen, und so wurde auf dem Hof wieder mehr Kompost hergestellt. Sogar Hopfenreste aus einer nahen Brauerei konnten verkompostiert werden, was sich heute aufgrund des hohen Spritzmitteleinsatzes auf den Hopfenfeldern eher nicht mehr empfiehlt. Außerdem wurde eine Kuh angeschafft, um eigenen Kuhmist zu haben. Über Freunde lernte Veit Ludewig in dieser Zeit die Anthroposophie und die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise kennen. Viel gelernt hat er in der Folgezeit von Hellmut Bartsch, dem damaligen Leiter des einzigen biologisch-dynamischen Hofs der DDR in Marien­höhe bei Bad Saarow in Brandenburg.

Als die Sonne schon etwas höher steht, bekomme ich eine Führung über den Hof. Der Herbst hat nur noch Reste der sommerlichen Fülle übriggelassen. Nahe am Haus liegen die Anzuchtbeete. Auch Tomaten und Gurken werden hier angebaut, und es gibt eine kleine Baumschule. Der Werkzeugschuppen ist ein gut sortiertes Glanzstück. Solche Ordnung habe ich bisher selten gesehen. Sie ist das ­Ergebnis langjähriger Praxistests, erklärt Veit Ludewig.
Durch die Streuobstwiese, in der noch Kisten voller Äpfel auf den Abtransport warten, laufen wir durch das nasse Gras zu einem weiteren Gartenbereich. Hier werden vor allem Kräuter, Beeren und Blumen angebaut. Daneben liegen zwei Felder. Auf dem einen grünen die zarten Spitzen des Winterroggens, auf dem anderen stehen einige Reihen erntereifer Grün- und Rosenkohl. Außerdem wächst hier die heute fast vergessene Kohlrübe, als Dank für die Hungersättigung während des Zweiten Weltkriegs.

Der Hof als Analogie zur Zelle

Seit 1967 führen Veit und Inga Ludewig ihre 3,5 Hektar als Gärtnerhof – ein Landnutzungskonzept, das in den 30er Jahren von dem Landschaftsarchitekten Max Karl Schwarz in Worpswede beschrieben wurde. Sein Grund­gedanke war die Verbindung eines kleineren Bauernhofs mit einem klassischen Gärtnereibetrieb, um ein naturverträgliches Wirtschaften und ein wirtschaftliches Auskommen der Betreiber zu ermöglichen. Statt nur Gemüse oder Obst zu produzieren oder als reiner Getreidebau- oder Milchwirtschaftsbetrieb zu fungieren, kombinieren Gärtnerhöfe diese Nutzungsmöglichkeiten und liefern somit die Grundnahrungsmittel für die Versorgung der Bewirtschafter und darüber hinaus Produkte für den Verkauf.

Es gibt einige wesentliche Grundsätze der Betriebsführung, die sich auch auf Ludewigs Gärtnerhof wiederfinden. Besonders wichtig für die Bodenfruchtbarkeit ist die Kompostierung von Kuhmist und Pflanzenrückständen unter Verwendung biologisch-dynamischer Kompostpräparate. Im Idealfall sollten alle Stoffe in einen geschlossenen Kreislauf eingehen und kein Dünger von außen zugeführt werden. Der »Verlust« der Verkaufsfrüchte beeinflusst diesen Kreislauf offenbar nicht negativ. Nach Vergleichsversuchen, die Veit Ludewig als Skeptiker natürlich durchführte, ist er überzeugt, dass dies auch auf die Anwendung biologisch-dynamischer Präparate zurückzuführen ist.

Einen Gärtnerhof macht auch die bewusste Anordnung der verschiedenen Hofbereiche aus, die Max Karl Schwarz als Analogie zur Pflanzenzelle betrachtete. In der Permakultur würde man heute von Zonierung sprechen. Dem Zellkern entsprechen die Gebäude, um die sich eine Intensivzone erstreckt. Hier befindet sich alles, was der intensiven Betreuung bedarf, wie die Pflanzenzucht und Stallungen. Daran schließt sich der Anbaubereich für Freilandgemüse und Beerenobst an. Das übrige Land wird extensiver bewirtschaftet. Es dient dem Futteranbau, als Weide oder Streuobstwiese. Das Hofgebilde als Ganzes wird nach außen von einer Hecke aus Wildfruchtsträuchern und heimischen Gehölzen begrenzt. Ludewigs nutzen einen Teil der Hecke zur Brennholzgewinnung. Alle sechs Jahre wird das nachgewachsene Holz geerntet.
Die Felder werden in mehrjähriger Fruchtfolge bewirtschaftet. Im ersten Jahr nach der Mistkompostdüngung wachsen mit der sogenannten ersten Tracht Starkzehrer wie Kartoffeln und Kohl. Außerdem werden Brennnessel und Minze gepflanzt. In zweiter Tracht folgen beispielsweise Möhren, Zwiebeln und Rote Rüben. Anschließend wird Getreide angebaut.

Die Ludewigs verkaufen verschiedenste Gemüse sowie Obst und Beeren an zwei Tagen in der Woche. Damit werden rund zwanzig Stammkunden versorgt. Außerdem wird Honig abgegeben und ein Kräuter-»Haustee« aus eigenem Anbau über die Verbrauchergemeinschaften in Dresden vermarktet. Als gelernter Baumschulgärtner verkaufte Veit Ludewig früher auch Bäume und Sträucher aus eigener Anzucht. Heute ergänzt das Anbauspektrum ein Schnittblumenfeld mit überwiegend mehrjährigen Stauden, das in Kooperation mit einer Gärtnerin bestellt wird. Das angebaute Getreide behalten die Ludewigs für sich selbst und für das Viehfutter.
Das alles klingt nach viel Arbeit, und so ist es auch. Auf dem Hof wirken das Ehepaar Ludewig, einer ihrer Söhne und an zwei Tagen pro Woche zwei Hilfskräfte. Vieles wird in Handarbeit erledigt. Ein kleiner Traktor und Geräte zur Bodenbearbeitung helfen bei der Feldbestellung. Die Getreideernte wurde noch lange traditionell mit der Sense ausgeführt. Heute hilft ein Mähbinder, die Garben zu binden. Nach wie vor stellen die Ludewigs sie in Puppen zum Trocknen auf dem Feld auf. Später werden sie maschinell gedroschen.

Die Hofführung beenden wir bei den Tieren. Ich darf einen Blick in das Bienenhaus werfen. Von den fleißigen Immen ist in dieser Jahreszeit natürlich nichts zu sehen, aber es duftet trotzdem herrlich nach Bienenwachs und Honig. Anders als in der Imkerei allgemein üblich, dürfen sich die Bienen bei Veit Ludewig im Winter von ihrem eigenen Honig anstatt von Zucker ernähren.
Anschließend darf die schöne, schwarze Kuh »Europa« endlich auf die Weide, heute, wegen meines Besuchs, später als üblich. Sie wird in Sichtweite des Hofs mit einer Kette angetüdert. Mir scheint das auf den ersten Blick nicht sehr tierfreundlich zu sein, doch die Kuh beginnt sofort friedlich zu grasen. Solange sie genug zu fressen hat, ist sie zufrieden, meint Veit Ludewig, und wenn etwas nicht in Ordnung wäre, würde sie sich lautstark bemerkbar machen.

Sinnerfüllte Arbeit

Ein wunderschöner, vielfältig gestalteter Hof und Gebäude, an denen dank DDR-Baumaterialmangels über 30 Jahre hinweg gebaut wurde – auf dieses Lebenswerk kann das Ehepaar Ludewig zurückblicken. Hier wurden sechs Kinder groß, von denen fünf auch Ausbildungen im gärtnerischen oder landwirtschaftlichen Bereich gemacht haben. Zwei betreiben heute eigene Höfe. Veit Ludewig wirkt zufrieden, als er mich über den Hof führt. Ließe sich die Zeit zurückdrehen, er würde nichts anderes machen, sagt er. Höchstens sich noch intensiver um den Wald kümmern, dort, wo er östlich von Dresden noch einige Bienenvölker stehen hat. An Rente und Aufhören habe er noch nicht oft gedacht. Freilich bringt das Alter körperliche Einschränkungen mit sich, doch scheint sinnvolle, den ganzen Menschen beanspruchende Arbeit glücklich und fit zu machen. Auch Urlaubsreisen vermisse er nicht. Urlaub auf dem Bauernhof habe er das ganze Jahr. Ab und an eine Wanderung oder zu seinen Bienen zu fahren, ist ihm Ausflug genug.

Die Ökologin in mir freut sich über die Vielfalt an Strukturen auf dieser vergleichsweise kleinen Agrarfläche, und ich frage mich, warum diese Form der Landwirtschaft nicht gefördert wird. Hier ließen sich mehrere gesellschaftliche Probleme auf einen Schlag lösen. Auf einem Gärtnerhof können Menschen sinnvolle Arbeit tun. Er produziert bodenschonend Lebensmittel für den Bedarf vor Ort und braucht wenig fossile Energie. Hier entstehen vielfältige Biotope für selten gewordene Arten wie Feldhamster, ­Steinkauz, Rebhuhn oder Wiesenchampignon. Der Gärtnerhof erscheint mir auch heute als ein nachahmenswertes Konzept für lernfreudige, landverbundene ­Menschen. Die Begeisterung sei die Hauptsache, nicht unbedingt die Ausbildung, meint der erfahrene Gärtner, man lerne ja auch durch Fehler.

Als ich mich auf den Heimweg mache, bin ich froh und dankbar, dass ich ein wenig an dem Wissen und der Erfahrung der Ludewigs teilhaben durfte. Ihrem Fleckchen Erde wünsche ich, dass es, wenn es einer Nachfolge bedarf, verständige Menschen findet, die es in seiner Vielfalt erhalten.

Quelle
Oya – anders denken. anders leben, Ausgabe 12
http://www.oya-online.de/article/read/572-alles_gut_genaehrt.html?omit_overlay=547357b80dabe

Autor
Ulrike Meißner
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Kategorien: Humusrevolution