Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können

Wieso wird das Artensterben nicht von allen als gleichermaßen gravierend wahrgenommen? Was hat es mit der Gewöhnung an das schleichende Verschwinden der Arten auf sich? Wie kam es dazu, dass der Mensch die meiste Zeit in seiner Geschichte als Schöpfer von Vielfalt agierte, und wann und wodurch nahm er seine Rolle als Vernichter des Lebens ein? Diesen und weiteren Fragen kommt die renommierte Umwelt- und Agrarexpertin Tanja Busse auf die Spur. Ihren Weg schildert sie durchaus persönlich und emotional nachvollziehbar, dabei stets sachlich, profund recherchiert und geleitet durch die Begegnung mit zahlreichen Menschen, die auf ihrem Gebiet viel zu sagen haben. Sie begibt sich auf eine Reise – örtlich mit Spezialisten Ökosysteme durchstreifend wie etwa der Huppenheide bei Münster, gedanklich durch zahlreiche Gespräche und Interviews wie etwa mit Entomologen aus Krefeld, „alten Hasen“ aus Naturschutzverbänden oder politischen Ämtern.

Ein Kapitel widmet Tanja Busse ihren persönlichen Erfahrungen, die sie durchlaufen musste, beim Versuch einen Wald in einen – für die biologische Vielfalt zuträglichen – Hutewald umzuwandeln. Ihre Motivation, verstehen und verändern zu wollen, wird leicht nachvollziehbar. Dass nicht „nur“ sogenannte Schlussstein-Arten – wenige an ihrer Zahl doch verantwortlich für die Gestaltung und den Erhalt eines ganzen Ökosystems – vom Aussterben bedroht sind, sondern bereits Schlüsselarten – die aufgrund ihrer schieren Menge als Nahrungsquelle für viele andere Arten von Bedeutung sind – ist alarmierend. Wie Ressourcenforscher Rockström bereits mit seinen Kollegen 2009 postulierte, gibt es für die Erde als sicheren Ort für die Menschheit bestimmte Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen, da wir sonst mit unkalkulierbaren Veränderungen und desaströsen Folgen rechnen müssen. Drei dieser Grenzen, so einer der meistzitierten Wissenschaftler der Welt, wurden bereits überschritten: beim Klima, beim Stickstoffkreislauf und beim Verlust der Biodiversität. Die Ökosystemleistungen von Abertausenden von Arten, die wir zum Teil nicht einmal kennen, sichern der Menschheit ihren Lebensraum und ihre Lebensgrundlagen.

Warum wir die totale biologische Verarmung unserer Natur hinnehmen und wer uns apokalypse-blind gemacht hat (Stichwort: inkohärente Medienberichterstattung), sind die Fragen, die Tanja Busse in die Vergangenheit führen. Warum ist unser Agrarsystem heute so, wie es ist? Wie waren die Umstände, aus denen heraus es sich entwickelt hat? Und wieso ist es heute für Landwirte so schwierig, Naturschutz zu betreiben? Mit diesen Fragen landet die Autorin schließlich im Räderwerk der Bürokratie eines politischen Systems, das regelmäßig seine Umweltziele verfehlt und vertagt. Lange Abstimmungsprozesse in kurzen Legislaturperioden und ein träges System, das wirkliche Veränderung verhindert – der demokratische Rechtsstaat ist tatsächlich ungeeignet, um die globale ökologische Krise abzuwenden, schlussfolgert die Autorin. Die Ursache für die Ausbeutung und anhaltende Beanspruchung der Natur und ihrer Leistungen, sowie die Externalisierung der Schäden und Kosten, sind weitere Fäden, welche Tanja Busse bei ihrer Aufarbeitung des Themas in die Hand nimmt.

Natürlich bleibt es bei dem Thema nicht aus, dass sie die sogenannte „gute fachliche Praxis“ der Landwirte mit Ackergiften reflektiert, deren fatale Auswirkungen, sowie die Unmöglichkeit einer Koexistenz zwischen konventionellen und ökologisch wirtschaftenden Betrieben. Schlussendlich frage ich mich gegen Ende des Buches, wer denn den Untertitel – „Wie wir die biologische Vielfalt noch retten können“ – festgelegt hat. Das Bild, das die recherchierten und zusammengeführten Fakten erschaffen, ist durchaus düster. Tanja Busse wählt – nach der Skizzierung einer weltweiten, bunten Bewegung von Menschen, die sich auf unterschiedlichste Weise längst auf den Weg des Handelns gemacht haben, um der Vernichtung unserer Lebensgrundlagen etwas entgegen zu setzen – als Handlungsmöglichkeit, Regelungen per Gesetz. Sie spricht sich für ein Klagerecht der Arten vor Gericht aus, wobei die von ihr auch vorgestellte Haltung Christopher Stones weiterführender ist, der sich für das Klagerecht natürlicher „Objekte“ ausspricht, das bspw. auch Bäume oder Wälder miteinbezieht. Die Autorin resümiert, dass in Zeiten der größten Gefährdung seit 66 Millionen Jahren, Tiere und Arten schnellstmöglich verbindliche und einklagbare Rechte benötigen. „Der Schutz, den unser Rechtssystem ihnen gewährt, muss so weit reichen wie die Gefährdung, die wir ihnen zumuten“, so Tanja Busse.

Fazit: Perfekte Lektüre für solche, die sich erstmalig mit dem Thema auseinandersetzen und auch spannend für jene, die dachten, bereits informiert gewesen zu sein.

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