Die vielgeschmähte bäuerliche Kultur ­bietet Orientierung auf dem Weg in eine lebensfördernde Ökonomie jenseits von Maximierungslogik.

»Größer, schneller, mehr – besser!«, lautet die Maxime unserer Epoche, die uns in Fleisch und Blut übergegangen ist. Wir wissen weder kognitiv noch physisch (in Fleisch und Blut), dass wir ein Teil des Ganzen sind, dass all die Dinge, mit denen wir uns umgeben, stofflich irgendwoher kommen und irgendwohin gehen. Anhand des Mülls, etwa der Plastikinsel kontinentaler Ausmaße im Pazifik, oder des Abschmelzens der Pole dämmert uns langsam: nichts kommt von nichts. Gaia, Mutter Erde, Pachamama oder wie auch immer Menschen das große Ganze genannt haben, in das sie physisch und geistig hineingeboren wurden, lässt uns drohend spüren, dass wir uns ändern müssen.
Wir bedürfen einer Mutter-Erde-Denkweise, die im Leben von jeder und jedem wirksam und ans alltägliche Handeln angebunden ist. »Mir wird klar, dass ich der Bauer meines Lebens bin«, schrieb Georg Spreitzer, Student an der Wiener Universität für Bodenkultur, im November 2016 als Erkenntnis aus unserer Veranstaltung »Ist die bäuerliche Ökonomie im 21. Jahrhundert überhaupt noch von Bedeutung?« Wir fragten: Woher das Gespür nehmen für einen anderen Umgang mit dem Wasser, der Erde, den Steinen, dem Sand, der Luft, den Tieren, den Pflanzen und all den Dingen, die sich daraus zusammensetzen? Welche Kriterien stehen uns als Lohnarbeiterinnen an Schreibtischen und Maschinen, als Autofahrern, die womöglich im siebten Stock aufgewachsen sind, zur Verfügung, um in verantwortungsvoll planetares Handeln und Denken zu finden? Und was ändert das schon am Räderwerk der Maximierungswirtschaft, in das wir alle eingespannt sind? Zumal wir deren Mechanismen weder durchschauen noch ein Bild einer anderen, wertebasierten, zeitgemäßen Wirtschaftsweise vor Augen haben. Georgs Aussage fußt auf konkreter, persönlich erfahrener Wirklichkeit: Neben Studium und Lohnarbeit arbeitete er stets auf bäuerlichen Äckern mit.
Tatsächlich hält die bäuerliche Ökonomie nach wie vor Möglichkeiten eines anderen Handelns, Denkens und Wirtschaftens bereit. Gerade auch in Österreich bestehen für die junge Generation Anknüpfungspunkte aus eigener Erfahrung ans Bäuerliche. Bis zum EU-Beitritt Anfang 1995 herrschte dort eine Agrarpolitik vor, die die Existenz bäuerlicher Höfe stützte, wogegen in Deutschland seit den 1960er Jahren das Prinzip »Wachse oder weiche!« galt: Die Höfe, nun »Betriebe« genannt, sollten sich vergrößern, die kleineren Höfe hingegen verschwinden. Doch auch hierzulande, wie in vielen Ländern des globalen Nordens (einst »Erste Welt« genannt!) gibt es eine neue Hinwendung zum Boden unter unseren Füßen. Denkansätze wie Degrowth, Postdevelopment, soli­darische Ökonomie, Gemeinwohlökonomie, Schenkökonomie, Glücksökonomie und Commons fördern die Entwicklung städtischer Gemeinschaftsgärten, Transition Towns, Permakultur-Designs und Landkommunen. Ebensosehr wurden diese Denkrichtungen jedoch durch die Praxisprojekte inspiriert. Beides geht Hand in Hand. Wir Menschen entstammen einer uralten Traditionslinie des unmittelbaren Austauschs mit der Erde.

Schmähung des Bäuerlichen
Diesen Alternativansätzen fehlt jedoch die ge- und bewusste Verbindung zum Wissen und den Werten bäuerlicher Kultur und Ökonomie. Zu sehr lastet die alte Geringschätzung des Bauerntums auf unseren hierarchisch strukturierten Gesellschaften. Der Sozialismus – lange als Gegenmodell zum Kapitalismus und als Gleichheitsmechanismus verstanden – öffnete in dieser Hinsicht keinen neuen Horizont. Seine Fixierung auf den durch proletarische Lohnarbeit getragenen Produktivismus trug nur weiter zur Verachtung des Bäuerlichen bei. Dem entgegen nimmt sich die UNO – infolge der unermüdlichen Aktivität von »Via Campesina«, der Bewegung der Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit – seit einigen Jahren des Problems an. Ende November hat die UN-Generalversammlung tatsächlich die Deklaration über die Rechte von Kleinbäuerinnen und -bauern und anderen ländlich Arbeitenden angenommen. Im Zug ihrer Entwicklung wurde der Anthro­pologe Marc Edelman gefragt: »Was ist das Bäuerliche, und wer ist damit gemeint?« Seine Antwort: »Das Wort peasant [Bauer] taucht im Englischen um die Zeit des Spätmittelalters und der Frühmoderne auf und bezeichnet die arme Landbevölkerung, Leibeigene, Landarbeiter, das gemeine Volk. Das Verb to peasant bedeutete ›unterwerfen‹, so wie ein Bauer unterworfen wird. Bereits früh hatten das Englische peasant, und das Französische paysan abwertende Bedeutungen wie ›derb‹, ›ungebildet‹, ›dumm‹, ›grob‹ und ›ungehobelt‹, das Mittelhochdeutsche bûr bedeutete sogar ›Schurke‹, ›Halunke‹, ›Räuber‹.«
Im »Digitalen Wörterbuch der deutschen Sprache« steht zu lesen, dass »Bauer« aus dem althochdeutschen gibūro, »Familien-, Stammesgenosse, Dorfgenosse, Nachbar, Mitbürger«, und dem mittelhochdeutschen gibūr bzw. gebūr(e), »Miteinwohner, Nachbar, Bauer, roher Mensch«, entstanden sei. Aus dem »Stammes- und Dorfgenossen« wurde mit der feudalherrschaftlichen Unterwerfung der »rohe Mensch«. Konsequenterweise verweist das Wörterbuch auf die Synonyme »Barbar«, »Grobian«, »Raubein«, »Rohling«, »Wilder«, »ungehobelter Kerl«, »wildes Tier«, »grober Klotz«.

Renaissance bäuerlicher Werte?
Trotz der vorherrschenden Wachstumseuphorie entstand seit der Nachkriegszeit an englischsprachigen Universitäten – anders als an deutschsprachigen – die Disziplin »Peasant Studies«. Die sozialanthropologische und ethnologische Forschung, die mit den Ländern des globalen Südens befasst war, musste zwangsläufig zu diesem Begriff kommen, ist doch dort die Mehrheit der Bevölkerung und insbesondere der Indigenen in Formen bäuerlicher Organisation tätig – sehr zum Verdruss der Entwicklungs- und Wachstumsideologen, die das Bäuerliche, ganz im Sinn der alten feudal- und kolonialherrschaftlichen Tradition, als tumb und rückständig brandmarkten. Bauern sind eigenwillig. Sie widersetzen sich den plündernden Ökonomien und verteidigen ihre erdverbundene Überlebensökonomie – so gut sie es vermögen, muss angesichts der ausbeuterischen Gewalt, der die bäuerliche Produktionsweise durch die Jahrhunderte und in verschiedenen Weltgegenden ausgesetzt war und ist, hinzugefügt werden. Ja, es handelt sich um eine eigene Produktionsweise, eine eigene Ökonomie, eine eigene Kultur – so lauten mehrheitlich die Ergebnisse der anthropologischen Forschung. Bei aller Vielfalt und Unterschiedlichkeit verbindet diese Art der Überlebensökonomie gemeinsame Prinzipien, Werte und Haltungen.
Der Agrarsoziologe Jan Douwe van der Ploeg charakterisiert sie als »Gemeinschaftswerk des Menschen und der belebten Natur«. Entgegen der weitverbreiteten Prognose vom Verschwinden der Bauern weist er anhand empirischer Studien aus mehreren Kontinenten eine »re-peasantization«, eine Renaissance des Bäuer­lichen sowie die Wirksamkeit einer eigenen Logik bäuerlichen Wirtschaftens nach. In seinem Buch »The New Peasantries« beschreibt er das Streben nach Autonomie inmitten von Abhängigkeiten als ein zentrales Merkmal bäuerlichen Seins. Ziel sei dabei die Schaffung selbstverwalteter Ressourcen, welche Formen des Gemeinschaffens zwischen Mensch und belebter Natur ermöglichen, die wiederum Beziehungen zum Markt ermöglichen – jedoch nicht, um Profite (und Abhängigkeiten) zu steigern, sondern um die Ressourcenbasis zu stärken, das Gemeinschaffen zu fördern, die Autonomie zu mehren und schlichtweg Abhängigkeit zu mindern. Das Überleben des Hofs und die Schaffung von Ressourcen kann durch Tätigkeiten im nicht-agrarischen Bereich unterstützt werden (Erwerbskombination). Das stärkende und regulierende Element in diesem vielfältigen, wechselseitigen Beziehungsgeflecht ist die Kooperation.
Mein Fazit: Von eben dieser bäuerlichen Haltung können Denkansätze und Praxisprojekte, die nach Wegen zur Überwindung der Wachstumsökonomie suchen, lernen!
Zunächst gilt es jedoch, die zivilisatorische Hürde der Geringschätzung des Bäuerlichen zu überwinden. Sie gründet auf dem Mythos, Bauerntum bedeute buckelnde Unterwerfung, Rückwärtsgewandtheit, patriarchale Familienstruktur. Zumindest wird dies für Europa und den globalen Norden angenommen, wogegen indigene Kleinbäuerinnen und -bauern des globalen ­Südens idealisiert werden. Beides ist falsch. Der US-amerikanische Anthropologe und Politikwissenschaftler James C. Scott hat herausgearbeitet, dass der Anbau von Nahrungsmitteln und die Haushaltung mit Tieren während des Großteils der Menschheitsgeschichte in egalitären Gemeinschaften stattgefunden hatte. Und zwar lange bevor in den letzten Jahrhunderten des vierten Jahrtausends v.  u.  Z. die Mächtigen der Stadt Ur im Zweistromland ihren Untertanen den mühseligen Getreideanbau verordneten, um Tausende von Zwangsarbeitern an Prunkbauten mit Nahrung versorgen zu können. Wurde keine staatliche Gewalt ausgeübt, waren es hingegen noch lange danach, nämlich bis ins 16. Jahrhundert hinein, in mindestens einem Drittel der Welt weiterhin egalitäre Gemeinschaften, welche die Erde kultivierten. Zu unser aller Schulwissen gehört perverserweise, dass gerade das Zwangssystem und seine steinernen und schriftlichen Zeugnisse den Beginn der Zivilisation markieren. Darauf gründet unser zivilisatorisches Paradigma, nämlich die Idee von Fortschritt hin zu Höherem bis hin zum Glauben an die Wachstumsökonomie.
In seinem Buch »Against the Grain« erläutert Scott, dass nicht etwa die Sesshaftigkeit und der Ackerbau quasi automatisch zum zivilisatorischen Zwangssystem geführt hätten, sondern vielmehr Gewalt, Krieg und Versklavung, die mit dem oktroyierten Anbau von lagerfähigem Getreide einhergingen, denn dieses eignete sich für ein kontrollierbares Abgabewesen: Weizen, Gerste, Reis und Mais. Von dort führt ein direkter Weg zu den heutigen industriellen Monokulturen, die aus Bauern Sklaven von Monsanto, Bayer, John Deere & Co. und den Banken machten. Nicht zu vergessen sei die aktive Förderung dieses Prozesses durch die sogenannte Entwicklungs-»Hilfe« nach dem Zweiten Weltkrieg. Gewiss haben die Bauern vielerorts dem Zwang widerstandslos nachgegeben oder sogar bereitwillig daran mitgewirkt. Doch richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die vielen großen und kleinen widerständigen Taten. Der Vorwurf der Mittäterschaft sollte vermutlich eher gegen breite Bevölkerungsschichten gerichtet werden, die dem Bauerntum dieselbe Geringschätzung entgegenbrachten (und noch entgegenbringen), wie die zwangsausübenden Eliten. All dies geschah im Namen des Fortschritts und der humanistischen Bildung. Kein Wunder, dass die Bauern der gesellschaftlichen Ächtung zu entkommen trachteten! Alle zusammen sind wir dabei dem zivilisatorischen Mythos erlegen.
Wie Scott herausarbeitet, richtet sich die gewaltsame Unterwerfung und Domestizierung, die von einem kriegerischen Herrscher sowie dessen Priesterschaft und Verwaltungsapparat ausgeübt wird, nicht nur gegen Pflanzen und Tiere, sondern in Form der Zwangskontrolle von Fruchtbarkeit und Gebärfähigkeit auch gegen Frauen. Nicht nur geraubte und versklavte Frauen werden domestiziert, sondern nach und nach mehr oder minder alle Frauen, die Teil einer monokulturell, monotheistisch, patriarchalisch-hierarchisch geprägten Gesellschaftsordnung sind. Der australische Anthropologe Ghassan Hage erkennt in der Domestizierung ebenfalls eine gemeinsame Wurzel von Frauenverachtung, Rassismus und Weltvernutzung. Auch in der Debatte über die Geringbewertung der Frauenarbeit in der Moderne haben wir Ökofeministinnen stets darauf hingewiesen, dass der Kern in der Kontrolle der Subsistenz – das, was notwendig zum Leben ist – und der Gebärfähigkeit liegt. Beides gehört zusammen, und zwar mit positiver Strahlkraft. Erst durch hässliche Formen der Kon­trolle wird dieser lebensfrohe Zusammenhang pervertiert und in etwas Negatives verkehrt.

Eine egalitäre Ackerbaukultur
Genauso wie bäuerliche Lebensweisen nicht unabwendbar Teil einer hierarchischen Gesellschaftsordnung sind, gehören auch die Bäuerinnen nicht von vornherein dazu. Die litauisch-US-amerikanische Archäologin Marija Gimbutas hat im Kontext ihrer Ausgrabungen auf dem anatolischen Hochland in Çatal Hüyük die These einer mutterzentrierten Kultur Alteuropas entwickelt. Çatal Hüyük ist eine der ältesten, wenn nicht die älteste Großsiedlung des Neolithikums. Hier wurden Ackerbau und Viehzucht betrieben, und im Zentrum der Glaubenswelt wie auch der gesellschaftlichen Ordnung stand die weibliche, mütterliche Figur. Das schließt man nicht nur aus den Funden Aberhunderter weiblicher Statuetten, sondern auch aus der Anordnung der Häuser, der Ahninnenverehrung, die an den Begräbnissen abzulesen ist, sowie aus dem Fehlen einer zentralen Kultstätte. Çatal Hüyük war eine egalitäre Gesellschaft, deren tausendjährige Geschichte weder Anzeichen von Krieg noch Waffen hinterließ.
Der Linguist Harald Haarmann griff Gimbutas’ These einer weit über Çatal Hüyük hinausreichenden matrizentrischen Kultur Alteuropas auf, die durch zahlreiche Funde bestätigt wurde. Die »Donauzivilisation«, eine egalitäre und kriegsfreie Kultur, erstreckte sich über zwei Jahrtausende, vom späten 6. bis ins späte 4. Jahrtausend v. u.  Z. Haarmanns Erklärung für die auffallende Wertschätzung des Weiblichen klingt durchaus plausibel: Die Frauen hätten als Sammlerinnen ein besonderes Wissen über die Pflanzen erlangt, das sie befähigte, deren Kultivierung zu betreiben. Außerdem erscheint es naheliegend, dass sich in der Weltwahrnehmung von Gesellschaften, deren Subsistenz ganz unmittelbar auf die regenerative Kraft der Vegetation angewiesen ist, das Gebären und Nähren widerspiegelt. Diese Form der Spiritualität ist nicht absonderlich, sondern sehr naheliegend und findet sich überall auf der Welt unter vielen verschiedenen Namen. Verwunderlich ist vielmehr, dass es den monotheistischen, patriarchalen, monokulturellen Zwangssystemen gelang, das matrizentrische Weltbild so nachhaltig zu verdrängen.
Haarmann bleibt dabei, »Zivilisation« positiv zu besetzen, denn er vermag die übliche kriegs- und hierarchieverliebte Oberhoheit über den Begriff und die darin enthaltene Art der Periodisierung der Geschichte zu korrigieren. Es habe in der Alten Welt Europas und des Vorderen Orients zumindest zwei unterschiedliche Wege der Entfaltung der Künste, der Schrift, der Metall­bearbeitung, des Ackerbaus und des Handels gegeben, wobei der europäische, von Anatolien inspirierte Weg egalitär, nicht kriegerisch und nicht patriarchalisch gewesen sei.
Wie ermutigend, dass unserem kulturellen Gedächtnis nicht nur Erinnerungen an Ausbeutung und Unterjochung, sondern auch an andauernd friedliche und gerechte Zeiten eingeschrieben sind! Daran lohnt es sich heute, anzuknüpfen, im Kleinen wie im Großen, in Theorie und Praxis, konkret und mit Bodenhaftung: Down to earth – dort liegen die Lösungen.

Veronika Bennholdt-Thomsen (74) ist Sozialanthropologin und Mitbegründerin der Subsistenzforschung in Deutschland. Sie habilitierte sich über bäuerliche Kultur in Mexiko und lehrt an der ­Universität für Bodenkultur Wien. Gemeinsam mit Maria Mies verfasste Veronika Bennholdt-Thomsen das Standardwerk der Subsistenzperspektive »Eine Kuh für Hillary«.

Quelle
Oya : enkeltauglich leben, Ausgabe 51
https://oya-online.de/article/read/3079-.html#

Autor
Veronika Bennholdt-Thomsen

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Kategorien: Humusrevolution