Diesen Text stellte uns Prof. Michael Succow, Träger des Right Livelihood Award, zur Verfügung. Der emeritierte Professor der Biologie ist ein scharfer Kritiker der Agrarindustrie und glühender Verfechter einer nachhaltigen Landwirtschaft. Er ist Gründer und Stiftungsratsvorsitzender der Michael Succow Stiftung.
Vorab ein persönliches Bekenntnis: Natürliche Produktivität, Gesundheit (Funktionstüchtigkeit), Schönheit und Vielfalt unserer Kulturlandschaft hängen letztendlich davon ab, ob möglichst viele Menschen anknüpfend an traditionelles Wissen den Landbau mit nachhaltigen Methoden ausüben, oder ob nur noch wenige Menschen die Landwirtschaft mit industriellen Methoden betreiben. Damit hängen Fragen der Nahrungsmittelverschwendung, des Wegwerfens, der fehlenden Wertschätzung der Urproduktion zusammen. Aus diesen Beweggründen heraus habe ich mich in letzter Zeit wieder verstärkt dem Thema Kulturlandschaft zugewandt. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Lösung der globalen Ernährungsprobleme entweder nachhaltig und ökologisch, anknüpfend an Traditionen und auf lokaler Ebene oder überhaupt nicht stattfinden wird. Auch Fragen des unverantwortlich hohen Energieeinsatzes für die Erzeugnisse in unserer sogenannten modernen Landwirtschaft werden zukünftig eine immer größere Rolle spielen müssen.
Agrarsubventionen fördern eine lebensfeindliche statt enkeltaugliche Landwirtschaft
Die gegenwärtige Tendenz der Agrarnutzung zur weiteren Konzentration und Industrialisierung hat unsere historisch gewachsene Kulturlandschaft in kürzester Frist in immer größeren Teilen zu „maximierten“ Produktionslandschaften geführt mit immensen negativen Folgen für die Umwelt (Eutrophierung, Humusschwund, Bodenverdichtung, Bodenerosion, Grundwasserbelastung, verminderte Grundwasserbildung, Biodiversitätsverlust …) und nicht minder problematischen Auswirkungen auf unser soziales Gefüge . Das Dilemma unserer Zeit ist, dass wir die Arbeitsproduktivität der Landbewirtschaftung in den letzten Jahrzehnten auf das mehr als 20fache gesteigert haben. Die Landbewirtschaftung im Osten Deutschlands wird als die „modernste“ angesehen, da sie am stärksten mit Großmaschinen und Agrochemie ausgestattet ist. Ihre Personalintensität pro 100 ha liegt in Ostdeutschland bei 2,6 Arbeitskräften, in Mecklenburg-Vorpommern sogar nur bei 2, dem absolut geringsten Wert innerhalb aller deutschen Bundesländer (Klüter 2011, Stand 2009). Demgegenüber steht Nordrhein-Westfalen mit 8,8 AK an der Spitze der Beschäftigten in der Landwirtschaft innerhalb Deutschlands (der Mittelwert für Deutschland liegt bei 5 AK). Die EU-Direktzahlungen und Zuschüsse je landwirtschaftlichen Haupterwerbsbetrieb liegen bekanntlich im Ländervergleich demgegenüber in Mecklenburg-Vorpommern absolut an der Spitze und in Nordrhein-Westfalen absolut am untersten Ende. Berechnet man die Flächenproduktivität je ha, so ergibt sich ein Zahlenverhältnis von 1.872 €/ha (Nordrhein- Westfalen) zu 700 € /ha im Nordosten Deutschlands. Das bedeutet, die erzeugten Produkte im Nordosten Ostdeutschlands werden zu 53 % von der EU finanziert, in Nordrhein-Westfalen zu 22,7 % (Beleites 2012). Die von uns allen beklagten Folgen dieser „Entwicklung“ sind ein Abwandern arbeitsfähiger Bevölkerung aus unseren ländlichen Räumen bei gleichzeitiger Erhöhung der Sozialabgaben (Harz IV-Empfänger), zwangsläufig damit verbunden ist ein Zusammenbrechen der Dorfkultur, der Dorfgemeinschaften, eine Polarisierung. Die großen Agrarbetriebe mit ihrer vergleichsweise geringen Wertschöpfung existieren vor allem aufgrund der Agrarförderung, das als besonders zukunftsfähig zu bezeichnen, geht an der Forderung nach Nachhaltigkeit vorbei. Dem gegenüber sind Unternehmen mit hoher sozialer und ökologischer Verantwortung im gegenwärtigen agrarwirtschaftlichen System kaum wettbewerbsfähig!
„Wir brauchen eine Zukunftsvision für die Landwirtschaft, mittelfristig, langfristig!“
Die Landnutzung der Zukunft wird sich aber, muss sich aber, – unter Wahrung der Freiheit des Einzelnen, – wieder stärker in die lebensnotwendigen Naturzusammenhänge einer endlichen Welt integrieren (Beleites 2012). Bei der zukünftigen Landschaftsnutzung muss dem Erhalt der Funktionstüchtigkeit der Landschaft, insbesondere der Böden, höchste Aufmerksamkeit zukommen. Das verlangt eine Honorierung erbrachter ökologischer Leistungen wie Humuserhalt/-mehrung, Grundwasserbildung in Menge und Güte, Aspekte der Biodiversität, aber auch sozialer Art wie Arbeitskräftebindung pro Flächeneinheit. Aktuell werden in unserm Hochlohnland subventioniert billig Agrargüter für einen Weltmarkt produziert, auf Kosten der Steuerzahler, des sozialen Zusammenhaltes, der Umwelt, der armen Welt. Es macht wenig Sinn, mit öffentlichen Geldern eine Form der Agrarproduktion zu subventionieren, die im eigenen Land erhebliche Folgekosten verursacht, die wiederum mit öffentlichen Mitteln beglichen werden müssen.
Die Adressaten für die in immer größeren Teilen der Bevölkerung erkannte Notwendigkeit nach einer Agrarwende können nicht die Landwirte sein – die Politik muss hier die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen und sich dabei auch an den globalen ökologischen und sozialen Erfordernissen ausrichten. Die ländlichen Räume in Nordostdeutschland stehen vor der Wahl, sich ihrem Schicksal zu ergeben, weiter zu entvölkern, zu sozialen und ökologischen Problemräumen zu werden, oder aber sich mit innovativem Wirtschaften zu Pionieren eines Managements des ländlichen Raumes zu entfalten mit entsprechend hoher ökologischer und sozialer Kompetenz. Dafür gibt es in Mecklenburg-Vorpommern gute Perspektiven und herausragende Beispiele mit hoher Akzeptanz. Die Größe der Betriebe ist dabei nicht entscheidend. Auch für genossenschaftliche Formen der Landbewirtschaftung sollten wir offen sein. Mehr denn je brauchen wir heute Modelle der Effizienz und Nachhaltigkeit. Die Erneuerung der Landwirtschaft braucht eine breite Basis in der Landbevölkerung, das muss mit der Wiederbelebung regionaler Kreisläufe einhergehen, mit der Erzeugung von zertifizierten regionalen Produkten.
„Die begonnene Energiewende muss eng mit der Agrarwende gekoppelt sein.“
Nicht nur für unser Land sind Ernährungsautonomie und Energieautonomie in einer sich dramatisch verändernden Welt entscheidende Bausteine. Das Besinnen auf eine nachhaltige, d.h. ökologisch und sozial verantwortbare Landschaftsnutzung erscheint mir als der einzig zukunftsfähige Pfad beim Umgang mit unserer Lebensgrundlage Natur zu sein. In Anlehnung an Beleites (2012) ist eine biologisch orientierte Landwirtschaft konservativ und fortschrittlich zugleich, ist global denkend und lokal handelnd. Wir brauchen Vorausschau und Rückblick zugleich. Das traditionelle Wertesystem eines Landwirtes ist zutiefst naturverbunden. So habe ich es jedenfalls als Kind auf dem elterlichen Bauernhof in Ostbrandenburg erlebt, so wurde es praktiziert, ohne die Begriffe ökologisch und sozial eigentlich zu kennen!
Die zukünftige Landwirtschaft wird ohne Agrarsubventionen auskommen müssen. Wir brauchen eine tabulose Diskussion über unsere zukünftigen, sich immer weiter eingrenzenden Gestaltungsräume. Als Maßstab für unser Handeln stehen Allgemeininteressen, sie sind aber etwas völlig anderes als die Summe von Einzelinteressen! In der aktuellen Situation, in der die Grenzen des Wachstums sich immer deutlicher abzeichnen, die Gewinne zu privatisieren und die Verluste zu sozialisieren, d.h. der Allgemeinheit anzulasten, ist – das zeigt die Finanzkrise – nicht mehr hinzunehmen. Wenn zukünftig die Ölpreise „explodieren“ und die Transportkosten enorm steigen, dann wird es uns darum gehen, den Selbstversorgungsgrad, die Eigendynamik der Region zu stärken, Grundlage dafür ist eine Belebung der Agrarkultur, der natürlichen Fruchtbarkeit der Böden, d.h. Humusmehrung, Stabilisierung des Landschaftswasserhaushaltes, Eindämmung der Bodenerosion. Bei allen Formen der Landschaftsnutzung muss der Erhalt der Funktionstüchtigkeit der Ökosysteme – und das ist in unserem Falle der Boden – Priorität haben. Denn mehr denn je gilt heute: Kapital ist vermehrbar, Landschaft ist nicht vermehrbar. Gesunde, funktionstüchtige, intakte Landschaft ist ein immer knapper werdendes Gut, dessen Wert ständig steigen wird. Friedensreich Hundertwasser formulierte es kurz vor seinem Tode, vor nunmehr 10 Jahren, in etwa wie folgt: Alle großen Nationen vor uns waren zu Ende, als ihr Humus zu Ende war; wir werden folgen, wenn wir nicht in der Lage sind, die dünne Schicht der Fruchtbarkeit unserer Erde zu erhalten, zu vermehren. – Dem, so meine ich, ist nichts hinzuzufügen!
„Es gilt Allianzen zu schmieden…“
Wir müssen endlich begreifen, dass der Boden ein Organismus ist, fein abgestimmt, mit einer ungeheuren Lebensfülle und mit der Eigenschaft, natürlich immer fruchtbarer, immer produktiver zu werden. Das gilt es beim Umgang mit der Natur, bei der Nutzung der Landschaft zu beachten. Was haben wir diesbezüglich in den letzten Jahrzehnten schon verspielt. Wir müssen uns in die Spielregeln der Natur einfügen, sonst sind wir die Verlierer. Das Projekt Natur geht weiter, aber wohin steuert das Projekt Mensch – ein Projekt mit unbekanntem Ausgang!?
Die Entfremdung der Menschen von Grund und Boden muss gestoppt werden. Es geht um die Zukunft unserer historisch gewachsenen Kulturlandschaft, die auch in Zukunft unsere Lebensgrundlage sein wird, sein muss. Wann endlich begreifen wir den Kultur-Natur- Zusammenhang unserer Landschaftsnutzung? Der Erhalt der Funktionstüchtigkeit unserer Landschaft ist auch unter dem Aspekt des Klimawandels eine der wichtigsten Sozialleitungen für unsere Zukunft. Gesunde Böden, saubere Luft, gutes Grundwasser, klare Gewässer, gesunde Nahrung, das ist unser Kapitalstock! Das zu bewahren, das zu erhalten erfordert das Zusammenwirken vieler Partner: Landwirte, Forstwirte, Naturschützer, Unternehmer, aber auch von Architekten und Denkmalpflegern sowie von Vertretern der Kirchen und des kulturellen Lebens. Es gilt Allianzen zu schmieden mit der Tourismuswirtschaft, mit der Gesundheitswirtschaft, den gegenwärtig am stärksten wachsenden Wirtschaftszweigen, den Aushängeschildern gerade unseres Bundeslandes. Ich meine, wir haben dafür beste Voraussetzungen!
Prof. em. Dr. Michael Succow Greifswald, im Juli 2012
LITERATUR:
Michael Beleites: Leitbild Schweiz oder Kasachstan? Zur Entwicklung der ländlichen Räume in Sachsen. – ABL-Verlag Hamm, 2012, 100 S. (im Druck).
Klüter, Helmut: Zur Entwicklung der Landwirtschaft in Brandenburg. – In: Umbrüche auf märkischem Sand. Hrsg.: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Brandenburger Landtag. oekom München, 2011. S. 55 – 64
Quelle
Succow Stiftung
https://succow-stiftung.de/
Autor
Prof. Dr. Michael Succow