Das Protkoll wurde von Lara Mallien in Echtzeit mitgeschrieben und vom Landwirtschaftsministerium am 10.10.2001 autorisiert. Es sollte für die Zeit der Affäre vertraulich behandelt werden, und deshalb wurde es von uns bisher nicht veröffentlicht. Nachdem sich der Wunsch des Landwirtschaftsministers nach Beruhigung der Öffentlichkeit insofern erfüllt hatte, als die Presse die landesweite Kontaminierung zunehmend auf ein „Vorkommnis auf 1.200 Quadratmetern“ (Zitat Till Backhaus) reduzierte und die Betroffenen des Chemie-Unfalls in der Gemeinde Pulow durch die Kampagne des „Heimatvereins“ mundtot gemacht wurden, waren wir zur stillen Beobachtung übergegangen. Inzwischen zeigt sich aber, dass sich die Situation in den Jahren 2002, 2003 und 2004 in keiner Form verbessert hat. Im Gegenteil: Der Schaden im September ist wieder so groß wie im Jahr 2001, und von den Versprechungen zur Unterstützung der örtlichen Betroffenen oder etwa zur Einrichtung von Modellen und Pilotprojekten oder zum Schutz der Gesundheit der Bürger ist nichts verwirklicht worden. Darum fühlen wir uns verpflichtet, den Wortlaut des Gesprächs für die weitere Diskussion hier wiederzugeben. Kommentare von uns sind durch kursive Schrift gekennzeichnet.
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- Anwesend waren:
- Dr. Till Backhaus, Minister für Ernährung, Landwirtschaft, Forsten und Fischerei
- Staatssekretär Dr. Karl Otto Kreer
- Frau Dr. Seidel, Landespflanzenschutzamt
- Frau Schumacher, Referentin Sozialministerium
- Herr Dr. Buchwald, Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt
- Herr Dr. Rudolphi, Abteilungsleiter im Landwirtschaftsministerium
- Frau Zinke, Pressesprecherin und Leiterin Ministerbüro
- Dr. Broschewitz, Referent im Landwirtschaftsministerium,
- Doreen Martschinke, 3. Bürgermeisterin der Gemeinde Pulow
- Matthias Andiel, Bürgermeister der Gemeinde Pulow
- Christiane Wilkening, Vorstandsmitglied der Kräutergarten Pommerland e.G., Pulow
- Markus Süssmann, Inhaber der Wollverarbeitungsfirma Pulana, Pulow
- Johannes Heimrath, stellvertretender Bürgermeister und Sprecher der Bürgerinitiative Landwende, Klein Jasedow
- Lara Mallien, Geschäftsführerin der Human Touch GmbH, Klein Jasedow
Nach der Begrüßung verliest Herr Backhaus zur Einleitung des Gesprächs den Brief der „Bürgerinitiative der Gemeinde Pulow“, die sich als Gegenbewegung zur Bürgerinitiative Landwende in der Gemeinde gebildet hat. Er betont, dass er sich ein gegenseitiges Aufeinanderzugehen und eine friedliche Einigung der Parteien wünscht.
(Die Bildung der „Bürgerinitiative der Gemeinde Pulow“ wurde von der Peeneland Agrar GmbH initiiert. Sie bestand aus der Führungsgruppe der Demonstration anlässlich der Pressekonferenz vom 29. September 2004; der Brief wurde von Frau Bliese unterzeichnet. Die war die einzige Aktion der Gruppierung, sie trat danach nicht mehr in Erscheinung. Stattdessen wurde im Frühjahr 2002 von denselben Personen der „Heimatverein“ in Waschow gegründet, dem die Peeneland Agrar GmbH als ortsfremdes Gründungsmitglied angehört.)
Backhaus: Es ist unser Ziel, in Mecklenburg-Vorpommern und vor allem in Vorpommern den Ökolandbau weiter voranzutreiben. Ich bin mit dem Bundesministerium in ständigem Gespräch, um auf die weitere Förderung für Umstellungsbetriebe hinzuarbeiten. Ich gehe davon aus, dasss wir in diesem Jahr die Grenze von 100.000 ha Ökofläche überschreiten. Wenn alle Anträge genehmigt werden, sind in diesem Jahr 20.000 ha hinzugekommen. Das Landwirtschaftsministerium hat 2 Millionen DM in den Biolandbau investiert.
(Den letzten Satz wollte das Landwirtschaftsministerium nicht so stehen lassen, da sie zu allgemein ist. Es sei keine Aufschlüsselung in reine Öko-Prämie oder umweltgerechte Gründlandnutzung etc. gemacht worden, und deshalb sei die Passage zu wenig aussagekräftig. Dennoch finden wird die genannte Summe interessant.)
Ich betone aber auch, dass die konventionelle Landwirtschaft ihre Berechtiung hat, wenn ordnungsgemäß gewirtschaftet wird.
Bis heute liegen Meldungen über 48 Fälle vor, bei denen angeblich Schädigungen auf Grund von clomazonehaltigen Mitteln eingetreten sein sollen. Diese Mittel, insbesondere Brasan, haben jedoch zu keinerlei gesundheitlichen Schädigungen geführt. Ich nehme aber auch die Sorgen der Bürgerinnen und Bürger ernst. Jetzt muss es darum gehen, das Thema zu versachlichen.
Für die konventionellen Landwirte soll kein zusätzlicher Schaden entstehen. Ich bitte Sie, Ihre Veröffentlichungen so auszurichten, dass wir aus dieser für das Land empfindlichen Diskussion wieder herauszukommen.
Ohne Zweifel wird schuldhaftes Anwenden von Pflanzenschutzmitteln geahndet. Das ist in der Vergangenheit immer so geschehen. In Mecklenburg-Vorpommern kommen nur Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, die von den entsprechenden Behörden genehmigt sind. Die Genehmigung von Brasan läuft zum Jahresende aus. Wir haben Frau Künast die bei uns bis jetzt aufgelaufenen Ergebnisse mitgeteilt, damit diese bei der erneuten Zulassung berücksichtigt werden.
Wir müssen feststellen, dass es einen 100%igen Schutz vor Pflanzenschutzmitteln nicht geben kann und voraussichtlich auch nicht geben wird. Ich gehe jedoch davon aus, dass bei sachgerechter Anwendung keine Schädigungen für Mensch und Land entstehen.
Wir haben große Anstrengungen unternommen, in Pflanzenschutztechnik zu investieren, um den Einsatz chemischer Mittel zu minimieren. Diese Fortschritte sieht man an den vielen Kornblumen und Mohnblumen, die zunehmend wieder in den Feldern wachsen. Es gibt aber auch Befürchtungen, dass die Bauern der Unkrautbelastung nicht mehr Herr werden und Qualitätseinbußen hinnehmen müssen.
(Wir konnten erfahren, dass die Mohn- und Kornblumen angeblich von manchen Agrarunternehmen aufgrund eines EU-Förderprogramms in einen 10 m breiten Randtreifen der Großflächen eingesät wurden. Offenbar ist das Programm ausgelaufen, denn man sieht sie heute kaum mehr.)
Wir prüfen zur Zeit, ob anstelle der bisherigen 2-jährigen Überprüfung der Spritzfahrzeuge nebst Vergabe der Prüfplakette eine jährliche Kontrolle notwendig ist. Wir prüfen, ob ein Grundlehrgang für die Landwirtschaftstechniker ausreicht oder ob regelmäßige Nachschulung nötig ist. Auf die Verfahren der Landwirte können wir nur auf freiwilliger Basis einwirken, weil wir in Eigentums- und Berufsausführungsrechte eingreifen müssten. Dies ist besonders berührt bei der Frage, wie wir die Trennung zwischen Ökolandbau und konventionellem Landbau organisieren können. Ich möchte Sie fragen, ob Sie zu einem freiwilligen Pilotprojekt bereit wären, in dem eine solche Zusammenarbeit zwischen konventionellem und ökologisch arbeitendem Betrieb modellhaft realisiert werden könnte.
(Nachdem das Thema aus der Öffentlichkeit verrschwunden war, war von einem solchen Pilotprojekt nicht mehr die Rede.)
Wir haben das Landespflanzenschutzamt darauf hingewiesen, verschärft Kontrollen durchzuführen und alles, was gegen gute fachliche Praxis steht, zu ahnden sowie jedem Hinweis nachzugehen.
Zum chronologischen Ablauf:
31.8./1.9. Spritzungen der Rapsflächen mit Brasan.
10./11.9. Feststellung der Schäden durch die Kräutergarten Pommerland e.G..
11.9. Information der Pommerland e.G. an die Presse, Brief an Herrn Backhaus, der am 14.9. auf seinen Schreibtisch kam.
12.9. telefonische Mitteilung an Landwirtschaftsamt von Frau Schäfer, welches sie an das Pflanzenschutzamt verweist.
14.9. Die Außenstelle in Greifswald wurde informiert, telefonisch wird ein Lokaltermin vereinbart.
18.9. Lokaltermin in der Gemeinde am Melissenfeld mit Herrn Stiemer vom Pflanzenschutzamt Greifswald. Es wird ein vorsorgliches Verzehrverbot ausgesprochen. 35 Personen sind anwesend.
20.9. Mitarbeiter des Landespflanzenschutzamts und des Landwirtschaftsministeriums kommen zu einer Besichtigung vor Ort, Probenentnahme, bei Landwirt Götz nimmt das Veterinäramt Proben von Gemüsen im Bioladen Keimblatt.
24.9. 25 Schadensfälle sind gemeldet, Anzeigen sind erfolgt
Presseerklärung des Landwirtschaftsministeriums in Abstimmung mit dem Sozalministerium, dass keine Gesundheitsgefährdung besteht, wie sich aus den Proben des Pflanzenschutzamts ergibt. Abstimmung mit mit der Uni Greifswald über die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Brasan.
Abstimmung mit der Kontrollstellenbehörde in Bützow, um weitere Verfahrensweisen zu besprechen.
26.9. Pressekonferenz in der Gemeinde Pulow, die anschließende Darstellung durch die Medien, besonders des Fernsehens, bezeichnet das Ministerium als nicht sehr sachdienlich.
Blutproben werden untersucht. Vertreter des Gesundheitsamtes und richten (hier wollte das Ministerium den Passus „auf Initiative des Bürgermeisters hin“ gestrichen haben) eine Sprechstunde für betroffene Bürger der Gemeinde Pulow ein.
27.9. Von 12 Personen werden Blutproben gezogen.
Es ergeht die Einladung des Landwirtschaftministeriums an die Bürgerinitiative
28.9. 51 Schadensfälle sind gemeldet
In einer von 7 Blutproben (genommen am 20.9.) wird Clomazone nachgewiesen.
Johannes Heimrath: Vorausschicken möchte ich zwei Dinge. Einmal macht uns die Situtation in der Gemeinde selbst sehr betroffen: Seit 3 Jahren gibt es jeden 3. Freitag im Monat einen Stammtisch, ein informelles Treffen, zu dem jeder Einwohner schriftlich eingeladen wird, um Probleme zu besprechen und die Geschehnisse in der Gemeinde transparent zu machen. Diejenigen, von denen jetzt die Gegeninitiative ausgeht, sind noch nie zu diesen Treffen gekommen. Dies teile ich Ihnen mit, um zu zeigen, dass die Gemeinde sich seit Jahren aktiv um Bürgerbeteiligung bemüht. Für uns ist die Formierung dieser Gruppe ein positives Zeichen, denn wir haben lange versucht, auch mit dem bisher unbeteiligten Teil der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Das ist jetzt vielleicht möglich.
Im Brief der Initiative wurde gesagt, dass die Einwohnerversammlung nicht stattfinden sollte. Das ist nicht richtig. Es wird durch das Amt offiziell zu einer Einwohnerversammlng eingeladen werden. Von daher haben wir vieles eingeleitet, um den gemeindlichen Prozess in die richtige Bahn zu bringen.
Das Problem geht jedoch weit über die Gemeinde hinaus. Dieser Fall hat ein Schlaglicht auf viele komplexe Zusammenhänge geworfen, die in Pulow besonders deutlich werden. Er ist in einer Situation aufgetreten, in der ein hohes Problembewusstsein in der Bevölkerung vorhanden war – das erkärt die eine oder andere Überrekation aus der Betroffenheit heraus.
Dass wir unseren Tonfall deutlich gemildert haben, dokumentiert unsere Website www.landwende.de. Wir möchten dieses Problem nicht nutzen, um Streit zu erzeugen. Stattdessen möchten wir in einen Dialog treten und Teil der Lösung sein, dafür steht die gesamte ökologische und ökonomische Entwicklung der Gemeinde Pulow. Ich spreche noch einmal meinen herzlichen Dank an die Runde aus für die Einladung. Wir alle suchen nach Lösungen.
Ihre Aussagen über die Hinwendung zur ökologischen Landwirtschaft haben uns sehr berührt. In der Gemeinde Pulow haben wir kein Kapital außer unserer Landschaft, deshalb möchten wir im Sinne eines sanften Tourismus auch diese Landschaft vermarkten. Im Einklang damit steht das Konzept, eine Nische in der landwirtschaftlichen Ökonomie zu schaffen, in der auch auf den verfügbaren kleinen Fläche arbeitsintensiv und ertragsstark ökologisch gewirtschaftet wird, z.B. durch den Anbau von Heil- und Gewürzkräutern. Dies sehen wir als realistischen Weg, Arbeitsplätze in einer Region zu schaffen, in der nach dem Zusammenbruch der LPG-Strukturen viele Menschen freigesetzt wurden, die außer im landwirtschaftlichen Bereich keine fachliche Qualitfikation haben.
1995 entstand in der Gemeinde Pulow ein Kräuterprojekt aus einer AB-Maßnahme. Als ich mich mit meinem Unternehmen im Sommer 97 in der Gemeinde niedergelassen habe, stand dieses Projekt vor dem Aus. Ich wurde wegen meines Hintergrunds als Pionier der Naturkostbewegung darauf angesprochen, es weiterzuführen. Mir war klar, dass bei entsprechender Professionalisierung im Kräuteranbau hochwertige Arbeitsplätze geschaffen werden können. Im Juni dieses Jahres wurde die Kräutergarten Pommerland e.G. als selbständiges Unternehmen ausgegründet. Sie baut selbst Kräuter an und organisiert den Aufbau einer Erzeugergemeinschaft. Kontakte sind hier insbesondere nach Polen und Lettland geknüpft worden. Einer der größten Einkäufer für biologische Kräuter, die Firma Lebensbaum, garantiert uns die Abnahme der Ernte und hat eine professionelle Trocknungsanlage finanziert.
Das Arbeitsamt hat den Weg in die Selbständigkeit durch eine Anlaufförderung für fünf feste Arbeitsplätze unterstützt. Zwei weitere Kräufte in einem Versuchs-Anbauprojekt arbeiten derzeit auf ABM-Basis. Sie sollen in einem Jahr in die Genossenschaft übernommen werden. Gegenwärtig beackert der Kräutergarten Pommerland 2 1/2 ha nach EU-Norm zertifizierte Fläche. 4 weitere Hektar wurden von einem Gönner erworben und sollen im nächsten Jahr mit eingebracht werden. Das Ziel ist, 10 ha zu bewirtschaften. Da das allein jedoch nicht ausreichend Ertrag bringen kann, ist eine Erzeugergemeinschaft geplant, ein Netz von auch kleineren, privaten Kräuteranbauern, die eine gemeinsame Produktionsstrecke nutzen.
Parallel dazu wird eine Produktlinie aufgebaut, um auch mit der Verdelung vor Ort Erträge zu erzielen. Bis jetzt sind verschiedene Kräuterteemischung im Angebot, Sirupe, die in Zusammenarbeit mit der Mosterei Nowack in Lassan entwickelt werden, sowie 12 Sorten von Konfitüren und Brotaufstrichen. Alles hat sich wunderbar entwickelt bis zu dem Moment, als die Herbizid-Havarie passierte und uns nun die Rohstoffe fehlen.
Um attraktive Angebote zu schaffen, die kulturell interessierte Besucher in die Gemeinde locken, sind vielfältige weitere Projekte geplant. In Klein Jasedow entsteht ein Seminarzentrum für besondere Studienangebote im Bereich der kreativen Therapien. Wesentlich für die Gemeinde sind auch künstlerische Angebote wie die Lithografiewerkstatt in Pulow, die jährlich ein internationales Lithografie-Plein air veranstaltet.
Derzeit entsteht ein Tast- und Duftgarten für Sehbehinderte und Blinde. Im Park des Papendorfer Gutshaus es ist ein Erfahrungsfeld zur Entfaltung der Sinne nach Kükelhaus geplant. Unsere Zielgruppe sind dabei, allgemein formuliert, die Kulturell Kreativen.
Seit 1998 ist es gelungen, in den drei mitgebrachten Unternehmen und den durch sie ausgelösten neuen Projekten insgesamt 38 Arbeitsplätze zu schaffen. Davon sind 19 neue Stellen für Einheimische entstanden. 5 Arbeitsplätze sind ABM-Stellen, 2 ältere Arbeitnehmer arbeiten in einer dreijährigen SAM-Maßnahme, der Rest gehört zum ersten Arbeitsmarkt. Neben der Kräutergarten Pommerland e.G. sind dies konkret die Unternehmen Human Touch Medienproduktion, die Musikinstrumentenwerkstatt Sona Sounds und die Wollverarbeitungsfirma Pulana. Unser Ziel war von Anfang an, dass in der Gemeinde neue Arbeit gefunden wird, um ihr „endogenes Potential“ sinnvoll in eine Wertschöpfung einzubringen.
Die Gemeinde hat sich sehr früh schon die Überschrift „Ökologische Gemeinde Pulow“ gegeben. Wir haben z.B. eine lokale Agenda beschlossen. Das Hauptproblem ist hier: Wenn wir als Bürger der Gemeinde nicht aktiv an der Umsetzung der Ziele der Agenda mitarbeiten können, bleibt das alles nur Papier. Der größte Teil der Gemeindefläche, 1200 ha von insgesamt 1500 ha, werden von der Peeneland Agrar GmbH bewirtschaftet. Da diese bis jetzt nicht bereit war, mit uns zu kooperieren, ist es uns rätselhaft, wie wir die Ziele der Agenda umsetzen können.
Die ökologisch bewirtschaftete Fläche der Gemeinde beträgt lediglich 2 Promille im Vergleich zur konventionell bewirtschafteten Fläche. Wenn wir 20% der Fläche ökologisieren möchten, wie es Landeswille ist, müssten es eigentlich 200 ha sein. Das setzt voraus, dass der vorhandene konventionelle Betrieb bereitwillig und großzügig kooperiert.
Wir haben die Peeneland GmbH zum 6. Mal zu einem Gespräch eingeladen, aber die Geschäftsführer haben den Termin nicht wahrgenommen. Es war ihnen nicht einmal in einer Krisensituation Wert, mit uns kurzfrisitig zusammenzukommen.
Noch zur Gesundheit: Auch wenn Brasan nach allen Erklärungen tatsächlich gesundheitlich unbedenklich sein sollte, sind wir den Bürgern in unserer Gemeinde eine Erklärung schuldig. Die unspezifischen Symptome, die auftraten, waren Übelkeit bis zum Erbrechen, bohrender Kopfschmerz, Gliederschmerzen, Fieberanfälle, Hautausschlag bei Kindern und Atemwegsbeschwerden.
Wir haben den Verdacht, dass Clomazone selbst wohl ungefährlich ist, aber entweder in der Kombination mit gleichzeitig ausgebrachten Totalherbiziden oder anderen Stoffen ungute Wirkungen entfaltet. Wir empfinden es als Mangel, dass es nicht zur Zulassung eines Mittels gehört, seine gesundheitliche Wirkung auch bei unsachgemäßer Ausbringung zu testen. Hier lagen kaum Informationen vor, es war sehr schwierig, überhaupt etwas über die Wirkung von Clomazone auf den menschlichen Organismus in Erfahrung zu bringen. Bei der Zulassung wird vermutlich auch kein Flächenversuch über 8 qkm zusammenhängende Fläche durchgeführt. Der Landwirt hat in unserem Fall 800 ha mit Brasan behandelt und schätzungsweise 600 ha mit einem Totalherbizid wie Roundup, Touchdown oder Durano. Möglicherweise ist die Größe der Flächen ein bisher nicht beachteter Faktor, so dass man die Problematik bisher nicht in ihrer ganzen Tragweite wahrgenommen hat. Der Betrieb bewirtschaftet insgesamt 5.000 ha, die Flächen liegen auch in den angrenzenden Gemeinden.
Andiel: Ich bedanke mich und freue mich, dass wir heute hier sitzen. Zu Beginn möchte ich kurz den bisherigen Verlauf der Gemeinde-Entwicklung schildern. 1990 versuchten wir zusammen mit dem Lassaner Bürgermeister erfolgreich, in das Stadt- und Dorferneuerungsprogramm aufgenommen zu werden. Es war die Aufgabe der ländlichen Regionen, neben der Landwirtschaft auch den Tourismus aufzubauen. Wir haben eine Gemeinde-Entwicklungsplanung erstellen lassen und haben uns von Anfang an in Richtung touristischer Eschließung ausgerichtet. Schwierigkeiten gab es in diesen Prozessen vor allem mit der Peeneland GmbH. Vielleicht ist Ihnen bekannt, dass gerade die Peeneland 1992 wegen unsachgemäßer Umwandlung der LPG in eine Genossenschaft – wie gerichtlich festgestellt wurde – in der Presse war. Vielleicht kennen Sie auch den Fall des Bauern Buchholz, der nach einer Flächenzuweisung des Landwirtschaftministeriums an seinen Betrieb von der Peeneland durch schwere Technik inder Ausübung seiner Arbeit behindert wurde. Letzter Problemfall ist der Schwarzbau des Silos unter Verstoß der Gestaltungssatzung der Gemeinde. Hier liegt ein Widerspruchsverfahren vor. Grundsätzlich werden von der Peeneland GmbH alle Gemeindewege überpflügt. Bei bestehenden Wegen wird bis an die Straßenkante hingepflügt, so dass der öffentliche Verkehr gefährdet ist. Auf Grund dieser Probleme habe ich mehrmals an den Bauernverband apelliert, aber ohne Wirkung. Alle Einladungen an den Geschäftsführer Bernard Kowolik sind von ihm ausgeschlagen worden. Auch zu unserer Pressekonferenz ist er nicht gekommen, sondern hat seine Belegschaft mit falschen Informationen dort hingeschickt.
Buchwald: Das Silo kann man aus der Sicht des Landwirts nicht als Schwarzbau bezeichnen, denn es liegt eine Baugenehmigung des Landkreises vor. Das gemeindliche Einvernehmen wurde in diesem Fall durch den Landkreis ersetzt. Sie führen diese Auseinandersetzung also mit dem Landkreis und nicht mit dem Landwirt.
Zur Pressekonferenz: In meinen Augen haben sich die Mitarbeiter der Peeneland sachlich verhalten. Ich habe nicht empfunden, dass sie den sozialen Frieden stören. Dass die Mitarbeiter des betroffenen Betriebes an einem solchen Fall Anteil nehmen, ist selbstverständlich.
Backhaus: Es ist klar, dass Sie die Verantwortung für die gesellschaftlichen Reaktionen mit tragen. Wenn hier der Naturkostladen Keimblatt (Anm. der Protokollantin: der Laden ist in Greifswald und hat mit Pulow nichts zu tun) einen Zettel herausgibt, in dem von „großflächiger Verseuchung“ die Rede ist, dann wird damit niemand ein Gefallen getan. Mit einem solchen Vorgehen werden Sie Schiffbruch erleiden. Hier stimmt etwas nicht. Es geht nur mit den Menschen und nicht gegen Menschen. Ich akzeptiere ja, wenn man eine andere Lebensphilosophie praktiziert, aber es geht nicht, dass man sie anderen aufdrängen will und andere ausgrenzt.
Buchwald: Um genaue Zahlen zu nennen: In Mecklenburg-Vorpommern wird auf 250.000 ha Raps angebaut. Davon wird ein wesentlicher Teil mit Herbiziden dieser Formulierung behandelt. Wir haben an verschiedenen Stellen im Land Nebenwirkungen festgestellt. 5 Ökobetriebe sind so betroffen, dass sie ihre Produkte nicht mehr im ökologischen Markt verkaufen dürfen. Man kann also nicht davon sprechen, dass flächendeckend der gesamte Ökolandbau betroffen ist. Dementgegen steht die Darstellung in der Öffentlichkeit, das Land sei „großflächig mit Clomazone verseucht“.
Clomazone hat eine geringe Toxizität. Es zeigt sich in der Natur sehr schnell, ob geringe Spuren des Spritzmittels an Standorte außerhalb der behandelten Felder gelangt sind. Durch Pflanzen-, Blut- und Bodenproben haben wir die Bestätigung, dass es zu keiner toxikologischen Belastung gekommen ist. Alle Werte liegen unterhalb der Nachweisgrenze. Man kann also nicht von einer akuten Vergiftung sprechen.
Leiterin des Landespflanzenschutzamts Frau Dr. Seidel: Unkrautbekämpfung ist beim Rapsanbau eine wichtige Maßnahme. Der Wirkstoff Clomazone hat sich für den Raps bewährt, weil er auf die Unkräuter, mit denen der Raps zu kämpfen hat und die genau wie der Raps selbst in die Kreuzblüterfamilie gehören, gut wirkt, ohne den Raps anzugreifen. Deshalb sind diese Mittel für die Landwirtschaft von hohem Interesse, denn sie ermöglichen heute, vorher nicht bekämpfbare Unkräuter zu beseitigen. Wir haben auch in den Vorjahren Fälle von Abdrift gehabt und zur besonderen Vorsicht gemahnt, insbesondere clomazonehaltige Mittel nicht bei sommerlichen Temperaturen auszubringen. In der entsprechenden Zeit waren in diesem Jahr besonders hohe Temperaturen, wodurch das Produkt schneller verdampft ist. (Anm. der Protkollantin: für die Region Pulow hat das Wetteramt weder zu hohe Temperaturen noch zu hohe Windgeschwindigkeiten ermittelt.)
Wir haben den Fall sofort aufgegriffen: Es wurden 140 Anwender clomazonehaltiger Spritzmittel ermittelt und alle Fälle verfolgt. Wir haben der Biologischen Bundesanstalt zugearbeitet und die Analysen gehen weiter. 40-50% der Rapsfläche wurden mit clomazonehaltigen Präparaten behandelt. In diesem Jahr hat es eine auffällig Zunahme der Schadsymptome gegeben. Das Mittel Brasan ist seit 97 zugelassen, aber in den Vorjahren gab es nur Einzelfälle von Abdrift, denen wir aber auch damals auch schon nachgegangen sind.Für jeden neuen Wirkstoff läuft ohnehin ein dreijähriges Monitoring.
Wenn die aktuellen Bodenproben alle aufgearbeitet sind, können wir zu endgültigen Aussagen kommen.
Heimrath: Was ist Ihre Erklärung dafür, warum es in diesem Jahr so besonderes viele Schäden gab? War die Hitze der Hauptgrund? Haben Sie auch an Wechselwirkungen gedacht?
Seidel: Es ist davon auszugehen, dass die clomazonehaltigen Mittel für diese Schäden verantwortlich sind, die weite Ausbreitung hängt wohl mit den hohen Temperaturen zusammen.
Heimrath: Wenn Clomazone ein flüchtiger Stoff ist, warum sucht er dann nicht gleich nach dem Verdampfen höhere Luftregionen auf?
Seidel: Es kann eine gewisse Thermik geben, die für eine solche Verteilung sorgt. Derzeit wird daran geforscht, den Wirkstoff in chemische Verbindungen einzubinden, damit er weniger flüchtig ist.
Heimrath: Das Merkwürdige ist doch, dass sich das Clomazone offenbar in Bodennähe über weite Strecken hinweg verfrachtet hat. Wie erklären Sie, dass er in Bodennähe durch einen Wald kriechen, konnte, bevor er das Feld eines Biobauern erreichte? Das ist doch ein für einen flüchtigen Stoff atypisches Verhalten.
Dr. Broschewitz: Clomazone hat einen hohen Dampfdruck. Wir haben festgestellt, dass die Weißfärbung auch hinter Hindernissen aufgetreten ist. Es ist zu einer sogenannten sekundären Verteilung gekommen, was auf den Wirkstoff und die Art und Weise der Formulierung zurückzuführen ist. Dieses Jahr hatten wir zum Anwendungszeitpunkt deutlich höhere Temperaturen und trockeneren Boden. Die genauen chemischen Prozesse, die bei der sekundären Verfrachtung ablaufen, sind auch für mich nur schwer zu begreifen. Es wird derzeit getestet, ob Zulassungverlängerungen für Cirrus und Brasan möglich sind.
Die Frage nach Wechselwirkungen zwischen Clomazone und Glyphosat ist der Biologischen Bundesanstalt zugeführt worden. Ein solcher Fall ist mir aber seit meiner 10jährigen Praxis im Pflanzenschutz nicht bekannt, scheint sehr unwahrscheinlich und ist auch sicherlich sehr schwer zu beweisen. Die Wirkstoffe sind von ihrer Chemie her grunsätzlich unterschiedlich strukturiert.
Andiel: Ich habe ja von der wissenschaftlichen Seite keine Ahnung, aber ich kann mir das nur als Gasglocke vorstellen, die über der Ortschaft hängt. Wie sonst kommt das Gift unter meinen Kaninchenstall? Die Menschen haben diese Gasglocke offenbar tagtäglich inhaliert. Wir haben doch alle keine Erklärung für den Vorgang. Aus den Unterlagen des Produkts geht in dieser Hinsicht nichts hervor. Mich interessiert: Was ist hier geschehen?
Dr. Rudolphi: Wir sollten uns jetzt auf die Gegenstände des Gesprächs konzentrieren, die diese Runde leisten kann. Wir können hier nicht die letzten chemischen Fragen klären. Wir haben Sachverhalt der Schäden und können nun miteinander über Fragen sprechen wie: Was muss Politik und Verwaltung leisten, damit solche Schäden in Zukunft ausgeschlossen werden, und was müssen wir tun, damit mit dem Thema sehr sachbezogen und objektiviert umgegangen wird?
Wir befinden uns in einer Situation, in der wir jede Formulierung vermeiden müssen, die zu einer emotionalen, nicht rationalen Haltung führt. Was kann ich persönlich dazu beitragen, damit beide Parteien zu einer sachlichen Bewertung kommen? Dazu möchte ich mich gerne zur Verfügun gstellen.
Backhaus: Für micht ist die zentrale Frage: „Welches Ziel verfolgt man?“
Heimrath: Wer ist man?
Backhaus: Jemand, der ein Ziel verfolgt. Mein Ziel ist, alle Informationen, die wir über diesen Fall erhalten, der Biologischen Bundesanstalt weiterzuleiten. Wenn uns Schäden gemeldet werden , sind wir diejenigen, die all dem hinterhermarschieren müssen, dafür sorgen müssen, dass alles überprüft wird. Das haben wir getan und das halte ich hiermit fest.
Es ist offen, wie es mit diesem Mittel weitergeht. Dann zur Frage der Anwendung: Ist Ihre Forderung denn, die Anwendung von Pflanzenschutzmitteln generell zu verbieten?
Süssmann: Natürlich sind wir hier, um die Sachlage zu erörtern. Bitte gestatten Sie uns aber auch eine gewisse Emotion, die z.B. aus der Sorge um unsere Kinder kommt. Ich bin Vater, und mein jüngster Sohn verbringt seine Nachmittage in Klein Jasedow bei einer einheimischen Tagesmutter. In der Zeit, als die Felder um Klein Jasedow gespritzt wurden, hatte er am Abend regelmäßig einen Fieberschub und starke Bauchschmerzen. Weil ich zu diesem Zeitpunkt noch keinen Zusammenhang mit der Spritzung herstellen konnte, bin ich nicht zum Arzt gegangen – niemand geht heute wegen Fieber gleich zum Arzt. Insofern fehlt jetzt jeder „Beweis“, aber die Sorge bleibt.
Beruflich habe ich mit Schafen zu tun und zwar seit 20 Jahren. Deshalb ist für mich der Aspekt der Tiere in dieser Diskussion wichtig. Überall im Land gibt es vor allem große Biopark-Flächen, die von Schafen beweidet werden. Wenn die Landwirte auf den angrenzenden Feldern leicht flüchtige Herbizide ausbringen, was passiert dann? Hier sollte man auch einmal die Zusammenhänge überprüfen.
Die 100.000 ha Ökofläche in Mecklenburg-Vorpommern bestehen zum großen Teil aus Extensivierungsflächen, auf denen Tiere gehalten werden. Ich habe Kontakt zum Landeschafzuchtverband aufgenommen, der den Brasan-Vorfall auch ernst nimmt. Schließlich werden diese Tiere auch verzehrt.
Es ist richtig, man muss zusammenwachsen und zusammenleben. Das realisiere ich auch in meinem Betrieb, in dem auch einen Einheimischen beschäftigte. Ich wünsche mir, dass wir es in Zukunft wirklich schaffen, diese beiden Systeme konventionelle Landwirtschaft und ökologische Landwirtschaft nebeneinander leben zu lassen. Innerhalb unseres Gemeindegebietes ist es wichtig, sich genau anzusehen, was mit den ökologischen Flächen passiert.
Heimrath: Wie kann es sein, dass dem Melissenfeld die Zertifizierung entzogen wird, nicht aber der Schafwiese des Biopark-Betriebs (des verursachenden Aagrarunternehmens) in unmittelbarer Nachbarschaft?
Backhaus: Die Frage ist immer noch ungeklärt: Was wollen Sie? Ich habe ein klares Interesse, dass dieser Betrieb Kräutergarten Pommerland weiter vorankommt. Es ist klar, dass dessen Produkte in diesem Jahr nicht weiter ökologisch vermarktet werden können. Aber die Aberkennung durch den Gäa-Anbauverband ist doch nicht erfolgt?!
Wilkening: Doch, unsere Kontrollstele Grünstempel hat die Fläche aberkannt. Ab nächstem Jahr beginnen wir wieder mit dem Jahr 1 der Umstellung.
Buchwald: In dem Melissenfeld wurden keine Rückstände festgestellt. Für uns gibt es daher keine Grundlage, eine Zertifizierung zu entziehen. Warum handhaben andere Kontrollstellen das anders? Unsere Abstimmung mit der Kontrollbehörde hat ergeben: Wenn nichts nachweisbar ist, soll auch die Zertifizierung nicht entzogen werden. Es gibt für Grünstempel keinen Grund, anders zu entscheiden.
Frau Bladt vom Landesveterinär- und Lebensmittelamt: Es wurden 11 Proben untersucht, 5 aus der Produktion von Herrn Götz. Clomazone und Dimethachlor waren darin nicht nachweisbar. Wir haben Untersuchungen mit der normalen Gaschromatographie und zusätzlich mit der Methode der Massenspektrometrie sowie der LCMS-Methode, einer Flüssigchromatographie durchgeführt. Diese Ergebnisse wurden am 26. 9. veröffentlicht. Getestet wurden Kartoffeln, Tomaten, Kohlrabi, Mohrrüben und Porree. Wir haben auch aus dem Betrieb „Essbare Landschaften“ Küchenkräuter geprüft, auch in diesen Produkten konnten wir nichts nachweisen, owohl wir mit allen drei Methoden geprüft haben. Letzte Ergebnisse des Veterinäramts Ostvorpommern von dem Gärtnereibetrieb „Querbeet“ haben für Wirsing, Kopfsalat Grünkohl und grüne Bohnen ebenfalls keine Rückstände ergeben.
Heimrath: Bei der Diskussion um die Zertifizierung berühren wir einen entscheidender Punkt. Ich gehöre mit zu denjenigen, welche die Formulierungen, die heute in den Satzungen der Kontrollverbände zu lesen sind, mit geprägt haben.
Backhaus: Was ist denn Ihr Hintergrund? Was haben Sie für eine Ausbildung?
Heimrath: Ich bin Musiker. Ende der 70er-Jahre gab es eine kleine Gruppe engagierter Musiker, die aus den Konjunktiven der alternativen Bewegung einen Aktiv machen wollten. Ich lebe seit mehr als 25 Jahren in einer Lebensgemeinschaft, die aus einem solchen Impuls hervorgegangen ist. Wir gehören zu den jetzt ergrauenden Leuten, die etwas vom Spirit dieser Zeit mit am Leben erhalten haben. Die Überzeugung, für die wir stehen, hat wesentlich dazu beigetragen, dass es das ökologische Bewusstsein heute gibt, und dass z.B. auch Sie heute mit dem ökologischen Landbau werben können. Ende der 70er-Jahre ist die Naturkostbewegung entstanden. Meine Gruppe hatte damals den ersten nach modernen Kriterien aufgebauten Naturkost- Heimservice und Naturkostladen auf dem Land aufgebaut. Aus den versprengten Initiativen dieser Zeit kam irgendwann der Impuls, sich zu organisieren , denn es war die Einsicht da, dass wir sonst 1. in der gesellschaftlichen Diskussion nicht ernst genommen würden und 2. das Vertrauen der Verbraucher nicht erreichen könnten. So kam es zur Gründung des Bundesverbandes Naturkost, auf den auch wir hingearbeitet haben.
Die Kernproblematik war damals bereits gegeben: Bedeutet „bio“ nur rückstandsfrei oder ist es noch etwas ganz anderes? Wir haben uns damals dazu bekannt: Bio ist mehr als nur rückstandsfrei. Diese Aussage lief parallel zum Bekenntnis der Friedensbewegung, dass Frieden mehr ist als die Abwesenheit von Krieg.
Der Ökobauer investiert in seine Ware nicht nur viel Arbeit, sondern auch einen nichtmateriellen Anteil. Es ist also völlig unmöglich, in unserer Diskussion den emotionalen Anteil wegzulassen. Wenn Sie sagen, dass Sie sich auch an das Naturkostpublikum wenden, dann haben Sie es mit einem ganz und gar emotionalen Publikum zu tun – es ist der Teil der Bevölkerung, der sich mit viel innerer Arbeit, sei es durch Selbsterfahrungskurse oder andere eigenen Wege, mühselig wieder die Emotionalität in ihr Leben zurückgeholt hat. Wenn Sie sich vornehmen, den ökologischen Landbau zu fördern, haben sie es mit genau solchen Menschen zu tun.
Backhaus: Die Entwicklung des ökologischen Landbaus hat sich im Osten anders abgespielt. Das hat auch einen Vorteil. Wir haben hier nicht nur die Möglichkeit, uns den Dingen über das Gefühl anzunähern, sondern durchaus mit Herz und Verstand.
Aber wo wollen wir letztendlich hin? Ihre Bürgerinitiative ist offenbar in der Lage, etwas sehr schnell an die Öffentlichkeit zu tragen. Die Presse hat leider nicht sauber recherchiert, sonst wäre nicht in dieser Form berichtet worden. Bei allem Verständnis für Ihre Sorgen: Das Problem hätte so nicht an die Öffentlichkeit transportiert werden dürfen. Solche Berichterstattung schadet ja sogar Ihrem eigenen Unternehmen. Wie möchten Sie damit nun weiterkommen?
Mallien: Ich habe den Eindruck, dass wir unnötigerweise gegeneinander sprechen. Die Einstellung unserer Bürgerinitiative ist viel stärker auf Kooperation ausgerichtet, als Sie uns im Moment einschätzen. Ich möchte Ihnen versichern, dass uns nichts anderes interessiert, als gemeinsam gangbare Wege zu finden. Wir können auf beiden Seiten die Schärfe im Gespräch einfach weglassen.
Heimrath: Wenn Sie unsere Hintergründe nicht kennen, wenn sie nicht wissen, wie ernsthaft hier am Vertrauen des Verbrauchers gearbeitet wurde, können Sie auch nicht verstehen, warum Grünstempel dem Melissenfeld sofort die Zertifizierung entzogen hat. Wenn der Verbraucher nicht mitbekommt, dass eine ernsthafte Diskussion über die Frage der Zertifizierung geführt wird, bedeutet das eine Abwertung des Gütesiegels „kba“. Meines Wissens gilt weiterhin als Grundsatz, dass ein Feld in die Umstellung gerät, sobald es Pflanzengifte gesehen hat, sei es absichtlich oder unabsichtlich passiert. Wenn man eine Ausnahme macht, muss dies öffentlich mitgeteilt werden.
Backhaus: Sollten wir den Pflanzenschutz grundsätzlich verbieten?
Heimrath: Ich persönlich möchte ohne Gifte leben. Der Chemieeintrag in unserer Umwelt ist unübersehbar geworden. Das ist eine Grundsatzaussage. Was realisiert werden kann, steht auf einem anderen Blatt Papier. Wir fragen uns z.B., ob Pflanzenschutz so verstanden sein kann, dass man Chemie nicht einsetzt, um ein bestimmtes Set von Pflanzen zu vernichten, sondern nur dann, wenn die Kulturpflanze tatsächlich gegen eine Krankheit oder einen Pilz etc. geschützt werden muss. Unsere Technik sollte doch in der Lage sein, die Unkrautbekämpfung mechanisch zu lösen. Ich spreche hier den integrierten Pflanzenschutz an. Noch ist für mich kein schlüssiger Nachweis gebracht worden, dass Totalherbizide für den Schutz von Pflanzen tatsächlich notwendig sein sollten.
Backhaus: Mit solchen Ansätzen habe ich gar kein Problem. Im Obstanbau und Gemüseanbau hat sich der integrierte Pflanzenschutz ja bereits durchsetzen lassen. Aber auf dem Weg dahin findet man nicht nur Freunde. Sie sehen ja, von Frau Künasts Vorschlägen hat sich so gut wie gar nichts umsetzen lassen.
Wilkening: Wie sollen denn die 20% Ökofläche in Mecklenburg-Vorpommern realisiert werden?
Backhaus: Wir sind in diesem Land bereits sehr weit gekommen – Warum? Doch nicht weil Sie hierher gekommen sind. Wir machen uns bereits sehr viele Gedanken über das Leben im ländlichen Raum, wir denken auch über andere Lebensphilosophien nach, z.B. wie Jung und Alt wieder zusammenfinden können. Wenn Sie fragen, wie wir unser Ziel realisieren möchten, ist dabei wesentlich, dass wir die Landwirte auf diese Reise mitnehmen.
Der Weg kann hier doch nur so sein, die Verbraucher zu mobilisieren, dass sie ökololgische Produkte kaufen. Ich unterstütze z.B. Markenfleischprogramme, wobei wir das Käuferverhalten auswerten. Wir müssen zielgerichtet an der Frage arbeiten, was den Verbraucher zu der richtigen Entscheidung bringt.
Durch eine Kampagne wie die Ihrer Initiative wird das Image der Landwirtschaft mit Füßen getreten, nachdem wir jetzt BSE etc. hinter uns haben. Der Verbraucher ist doch dermaßen verunsichert, dass er uns heute fast nichts mehr glaubt.
Wir müssen Wege finden, die zu einem Konsens führen. Dass wir sehr viel für die ökologische Landwirtschaft tun, dokumentiert mein Schreiben an Frau Künast mit der Bitte, die Umstellungsförderung zu erhöhen.
Im Prozess der Einigung zwischen konventioneller und ökologischer Landwirtschaft können wir bei der Moderation helfen. Der Ökolandwirt darf durchaus seine Befürchtungen zum Ausdruck bringen und fordern, dass Abstand zu seinen Feldern gehalten wird. Andererseits müssen wir auch Hochachtung vor den konventionellen Landwirten haben. Deshalb muss es uns gelingen, den Minimalkonsens zwischen den beiden Richtungen zu akzeptieren.
Die Situation des Biolandbaus ist alles andere als einfach. Wir haben es hier mit sinkenden Erträgen zu tun. Wo nicht mineralisch gedüngt wird, kommt es zu einer Verarmung der Böden. (Anm. der Protokollantin: Es wurde eingeworfen, dass sämtliche Zahlen aus den Bio-Anbauverbänden in die andere Richtung weisen und dass falsche Bodenbehandlung kein Kennzeichen von Öko-Landbau sei.)
Wilkening: Wir können also mit politischer Hilfestellung von Ihrer Seite rechnen?
Backhaus: Das tun wir doch schon die ganze Zeit!
Jetzt soll noch das Sozialministerium zu Wort kommen.
Frau Schumacher, Referentin im Sozialministerium: Das Gesundheitsamt wurde zum ersten Mal am 17.9. von Herr Spanke über den Fall informiert. Er sprach von unspezifischen Symptomen, Übelkeit und Erbrechen, die in Zusammenhang mit Herbiziden stehen könnten. Frau Dr. Wessel hat daraufhin recherchiert, ob auch von anderen Ärzten entsprechende Meldungen vorlagen, aber das war nicht der Fall. Ob in den vorhandenen Blutproben, die am 20.09. von Patienten abgenommen worden sind, noch die Wirkstoffe von Brasan zu finden sind, wurde für sehr unwahrscheinlich gehalten, da das Herbizid bereits Ende August aufgebracht worden ist, so dass es vermutlich bereits wieder abgebaut sein würde. Die Ministerin Frau Bunge hat trotzdem auf einer Untersuchung bestanden. Von Einwohnern in Klein Jasedow sind 7 Proben genommen worden. Die mit einer empfindlichen Untersuchungsmethode (Gaschromatographie mit massenselektivem Detektor) durchgeführten Untersuchungen, deren Nachweisgrenze für die Wirkstoffe Clomazone bei 0,1 mg/l und für Dimethachlor bei 0,2 mg/l liegt, haben gezeigt, dass bei sechs Patienten die Werte unter der Nachweisgrenze lagen und bei einer 23jährigen Dame im Serum vom 20.09. ein Befund von 0,3 mg/l Clomazone erhoben werden konnte, also knapp über der Nachweisgrenze. Das ist ein sehr geringer Wert, der keinerlei toxische Relevanz besitzt und daher keinen Einfluss auf die Gesundheit haben könnte. Am 29.9. wurde im Papendorfer Gutshaus in der Gemeinde Pulow eine umweltmedizinische Sprechstunde vereinbart, bei der 12 weitere Blutproben genommen wurden. Es ist bedauerlich, dass bis heute die Anamnesebögen, die parallel ausgeteilt wurden, nicht an das Gesundheitsamt zurückgegeben wurden. Das Gesundheitsamt hat in diesem Fall immer Gesprächsbereitschaft angeboten.
Heimrath: Diese Darstellung ist nicht ganz richtig. Der erste Kontakt mit dem Gesundheitsamt geschah durch eine Bürgerin aus Klein Jasedow, die einen Brief an Frau Richter geschickt hatte. Als sie nach zwei Tagen keine Antwort erhielt, hat sie sich telefonisch gemeldet und um einen Besuch gebeten. Auch die Sprechstunde wurde auf Initiative des Bürgermeisters hin eingerichtet.
Süssmann: Es ist doch verwunderlich, dass in einer Blutprobe ein Wert oberhalb der Nachweisgrenze gefunden wurde. Herr Hefner von der Herstellerfirma Syngenta müsste erklären, wie das sein kann, da laut seiner Aussage das Clomazone den Körper nach 90 Stunden wieder verlässt.
Die Frage, die aber doch jetzt wesentlich ist: Wird die Öko-Zertifizierung der Flächen aberkannt, oder nicht?
Schumacher: Der erhobene Befund von Clomazone im Blut über der Nachweisgrenze lässt zwar darauf schließen, dass die Patientin dem Wirkstoff ausgesetzt war, aber nicht darauf, dass die Exposition Ende August/Anfang September gewesen sein muss.
Buchwald: Herr Heimrath hat vorhin die Entstehungsgeschichte des ökologischen Landbaus angesprochen. Heute hat er viele Facetten. Es gibt die EU-Verordnung und die Regelungen der einzelnen Anbauverbände. Wir haben alle Kontrollstellen in Mecklenburg-Vorpommern angeschrieben und unser Votum mitgeteilt: Wenn im Boden nichts feststelltbar ist, dann sollten die Flächen nicht aberkannt werden. Das ist für uns die Grundlinie.
Wir sehen auch bei den Verbrauchern Unterschiede. Es gibt sicherlich die Gruppe der Verbraucher, die Sie angesprochen haben, aber auch die Gruppe, die ganz pragmatisch aufgrund von Qualität und Preisvergleich entscheidet.
Und: Öko heißt nicht schadstoffrei, das kann niemand gewährleisten.
Wesentlich ist die Rückstandsfreiheit. In dieser Beziehung denkt auch die Kontrollstelle von Herrn Götz, welche die Flächen nicht gesperrt hat, so wie das Ministerium.
Heimrath: Wenn die eine Kontrollstelle sagt, dass sie die Zertifizierung aberkennt und die andere nicht, dann haben wir ein öffentliches Problem, das geklärt werden muss.
Wir haben den Eindruck, dass wir alle großen Gesprächsbedarf haben, mehr als wir in dieser Runde realisieren können. Können wir nicht all diese Themen in einen Workshop mit mehr Zeit durcharbeiten? Unsere Positionen sind im Grunde nicht weit voneinander entfernt.
Backhaus: Mein Ziel ist, dass wir diesen Konflikt vor Ort in der Gemeinde Pulow regeln. Dazu bieten wir Unterstützung an. Das heißt, dass wir noch einmal versuchen werden, eine Runde mit den Bürgerinitiativen und den Landwirtschafstbetrieben einzuberufen. Ich bin immer ein Freund von Modellen und auch gerne bereit, selbst mit hinzukommen. Ich muss ergebnisorientiert arbeiten und mich daher mit meinen Abteilungsleitern beraten, damit sie die Lage erst sondieren. Ich bin der Auffassung, dass wir in enger Abstimmung mit dem Sozialministerium die Untersuchung der betroffenen Bevölkerung fortführen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir zwischen den ökologischen und konventionellen Betrieben einen Minimalkonsens finden. Insbesondere muss es darum gehen, die Sorgen und Nöte der Bevölkerung ernst zu nehmen.
Weitere Maßnahmen, die ohnehin bereits getroffen werden, sind alle Angaben über die auffällig gewordenen Mittel an die Zulassungsstellen weiterzuleiten und auch zu einem Monitoring in anderen Regionen anzuregen. Wie ich schon erwähnt habe, prüfen wir, ob die turnusmäßige Vergabe der Prüfplaketten für Spritzmaschinen nicht jährlich erfolgen sollte, damit wir die Gefahren einer durch Maschinen bedingten Abdrift vermeiden.
Das betrifft aber Bundesverordnungen, die in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium entwickelt werden müssen. Der Frage, ob eine Empfehlung ergehen soll, Randstreifen zu ökologischen Flächen einzuhalten, muss in Einvernehmen mit der konventionellen Landwirtschaft nachgegangen werden.
Wilkening: Möchten Sie sich auch für die Schadensregulierung bei den ökologischen Betrieben einsetzen?
Backhaus: Das ist eine zivilrechtliche Frage. Ich kann nur eine Empfehlung aussprechen, dass zwischen Verursacher und Ökolandwirt eine einvernehmliche Lösung gefunden wird.
Süssmann: Wenn wir über Schutzstreifen sprechen – auch wenn es im Grunde pervers ist, wenn man sich vor der Landwirtschaft schützen müsste – möchte ich auch darauf hinweisen, dass in Mecklenburg-Vorpommern praktisch nirgends die vorgeschriebenen Mindestabstände zu Söllen und Gewässern eingehalten werden.
Backhaus: Das stimmt nicht. Das ist eine pauschale Verallgemeinerung.
Süssmann: Ich habe auf dem ganzen Weg von Pulow nach Schwerin speziell auf die Sölle geachtet und konnte nirgends die vorgeschriebenen 7 m Schutzstreifen erkennen.
Bei unserem Rundgang mit Herrn Stiemer auf den Flächen der Peeneland Agrar GmbH ist deutlich geworden, dass dieser Betrieb nirgends die Abstände eingehalten hat, weder zu Straßenrändern noch zu Grundstücksgrenzen oder Söllen. Denken Sie konkret daran, Schutzstreifen um die Dörfer einzurichten?
Backhaus: Mit einem solchen Vorschlag greifen Sie in Eigentumsrechte ein. Wenn wir einen 20 m breiten Sicherheitsstreifen verordnen, kommen die Landwirte zu uns und sagen, dann hätten wir den Ernteausfall zu bezahlen.
Heimrath: Die Gemeinde ist der Lebensraum für alle ihre Einwohner. Ich denke, es ist recht und billig, dass man im Rahmen der Gemeinde einen Konsens über die Art der Landbewirtschaftung findet. Das ist gar nicht so weit hergeholt und muss nicht unbedingt als Eingriff in die Eigentumsrechte verstanden werden. Auch ein Möbelhersteller hat z.B. besondere Auflagen, unter welchen Umständen er welche Mittel verwenden darf.
Hier zu einer Lösung zu kommen, die Einwohnern und Landwirten gleichermaßen gerecht wird, wäre eine Anforderung, die man an den Gesetzgeber stellen könnte. Wohlgemerkt geht es mir um die Art der Bewirtschaftung, nicht um Verbote oder einen Entzug der Flächen.
Sie sprechen von einem Minimalkonsens, was ich grundsätzlich begrüße, obwohl wir selbstverständlich auf einen Maximalkonsens hinarbeiten. Miteinander reden, heißt auch, dass wir uns als Bürger in solche Prozesse einbringen. Dies nehmen wir als unsere Bürgerpflicht wahr und möchten auch Ihnen beim Prozess, zu einer größeren Harmonie von ökologischer und konventioneller Landwirtschaft jede Unterstützung zusagen.
Fazit: Der runde Tisch in der Gemeinde Pulow mit den Landwirtschaftsbetrieben und Bürgerinitiativen soll sobald wie möglich stattfinden. Nachdem Abstimmung des Protokolls bekommt die Bürgeriniative Landwende umgehend ein Gesprächsangebot.