Ein Interview von Gerd Wegner mit dem Bienenforscher Torben Schiffer

Herr Schiffer, Sie sind 46 Jahre alt, Diplombiologe und seit 2006 mit der Bienenforschung befasst?
Ja, nachdem ich das Handwerk der Imkerei erlernte, wandte ich mich umgehend der Bienenforschung zu. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Jürgen Tautz an der Uni Würzburg beschäftige ich mich dann intensiv und beruflich mit der Bienenforschung. Ich erhielt den Auftrag, die Biologie und Lebensumstände wildlebender Bienenvölker zu erforschen und einen Vergleich zur Kistenhaltung der Imker zu ziehen. Dabei ging es
auch darum, mögliche gesundheitliche Auswirkungen der Kistenhaltung auf die Honigbienen zu ergründen. Damals war man der Meinung, dass die Honigbiene ohne menschliches Zutun keine Chance zum Überleben hätte. Ich begann meine Studien in bayerischen Wäldern, weil dort die Chance, ein wildlebendes Volk zu finden, am größten erschien. Heute weiß ich, dass es in allen größeren Wäldern Deutschlands noch wildlebende Bienenvölker gibt. Sie sind also bei weitem nicht ausgestorben. In den letzten Jahren fokussierte ich mich vor allem auf artgerechte Behausungen für Bienenvölker.

Einleitend haben Sie gesagt, dass auf jedem Glas Honig zu
lesen sein müsste: »Gefüllt mit komprimiertem Artensterben«. Das ist aber sehr provokant!
Das mag einigen provokant vorkommen, jedoch ist das eine valide und zudem studienbasierte Aussage. Setzt man sich gründlich mit der Thematik auseinander, führt das darüber hinaus zu der Konsequenz, dass jedem Imkerverein die Gemeinnützigkeit abgesprochen werden müsste, sofern sie überhaupt erteilt worden ist.

Welche Erkenntnisse haben Sie zu diesen harten Aussagen

gebracht?
Ich will gerne ausführlich darauf eingehen, möchte aber noch etwas vorausschicken. Die permanente Werbung für den Schutz der Honigbiene in den letzten Jahren hat dazu geführt, dass viele Menschen sich der Imkerei angenommen haben. Sie lassen sich von Imkern und deren Verbänden ausbilden, die sich selbst als Arten- und Naturschützer präsentieren. Dabei werden die heutigen Mittel der intensiven Imkerei, z.B. Großraumbeuten, glorifiziert, deren Ziel aber nur darin besteht, möglichst viel Honig zu produzieren. Über die Auswirkungen auf die Honigbiene selbst und die Kollateralschäden in der Umwelt wird den
Jungimkern jedoch nichts beigebracht.

Geht es denn der Honigbiene dabei so schlecht?
Wenn man vor
solchen Imkerbeuten steht und das emsige Ein- und Ausfliegen von tausenden Bienen beobachtet, liegt der Gedanke doch fern, dass die Bienen leiden.
Die Bienen können ihr Leid nicht zu erkennen geben, denn sie verfügen weder über Stimmbänder noch über eine Mimik. Die moderne Imkerei verstößt sogar gegen internationales Tierrecht.
Weltweit anerkannt und etabliert sind für die Haltung von Nutztieren fünf »Freiheiten der Tiere«, die bei der Tierhaltung zu beachten sind: 1. Freiheit von Hunger, Durst und Fehlernährung, 2. Freiheit von Unbehagen, 3. Freiheit von Schmerz, Verletzung und Krankheit, 4. Freiheit von Angst und Leiden, 5. Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens. Gegen jedes von diesen Kriterien wird bei der heute etablierten Imkerei gleich mehrfach
verstoßen.
Gegen die 1. Freiheit wird schon dadurch verstoßen, dass den Bienen nach Einbringen der Haupttracht im Frühsommer der Honig entzogen wird. Sie werden dann fortan ersatzweise
mit Zuckerwasser gefüttert, damit sie nicht verhungern. Die Gabe von Zuckerwasser, dem sämtliche wichtigen Lebensbaustoffe fehlen, stellt eindeutig eine Mangelernährung dar. Es
ist zudem erwiesen, dass dies zu krankhaften Degenerationen des Magen Darm Traktes der Bienen führt und deren Lebenserwartung stark herabsetzt.

Handelt es sich dabei nicht um einen zu Gunsten der Honigproduktion in Kauf zu nehmenden Nachteil, der im Übrigen auch
weitgehend noch unbekannt ist?
Dass Zuckerwasser die Ernährung mit Honig nicht ersetzen kann, ist einfach nachzuvollziehen. Die Nebenwirkungen dieser gängigen Praxis sind jedoch vielen Imkern gar nicht bewusst, denn hierüber wird im Zuge der imkerlichen Ausbildung gar
nicht aufgeklärt. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Gesundheit der
Bienen geschädigt wird und die Zuckerfütterung nicht dem Bienenschutz, sondern ausschließlich der eigenen Profitmaximierung dient.

Wie sieht es denn mit dem 2. Kriterium, der »Freiheit von
Unbehagen« aus. Können Insekten denn überhaupt Unbehagen empfinden?
Bienen können Unbehagen nicht zeigen. Sie können sich nicht äußern und nicht weinen. Jedoch kann man als Unbehagen alles deuten, was sie aus ihren über Millionen Jahre angeeigneten Instinkten und eingeschliffenen Verhaltensweisen herausreißt und Stress verursacht. Dazu gehört zum Beispiel das Räuchern. Um vermeintlich die Bienen zu beruhigen, benutzt der Imker einen Smoker, mit dem er Rauch über die geöffnete Bienenbeute bläst, um die Angriffslustigkeit der Bienen einzudämmen. Dass die Bienen sich nun in die Waben zurückziehen, statt sich zu verteidigen, ist eine Stressreaktion. Instinktiv bereiten die Bienen sich auf einen vermeintlichen Waldbrand vor. Bei Rauch füllen sie ihre Honigmägen, um für einen langen Fluchtweg gewappnet zu sein. Mit Beruhigung hat dies nichts zu tun. Es ist eine Panikreaktion, vergleichbar mit Menschen auf einem brennenden, sinkenden Schiff. Menschen in einer solchen Situation würden zu den Rettungsbooten laufen, um ihr Überleben zu sichern und sich somit nicht mehr darum scheren, ob sich
jemand in ihre Kabine schleicht. Gefahren, beispielsweise durch Plünderer, werden in diesem Moment zum Zwecke des Überlebens einfach ignoriert. Imkerliche Aussagen, dass der Rauch die Bienen »beruhigen« würde, sind vollkommen haltlos und aus bienischer Perspektive mehr als sarkastisch.
Ein anderes Beispiel ist der Drohnenbrutschnitt. Der Imker schneidet größere Stücke von Waben mit Drohnenbrut heraus, um dadurch die Parasitierung durch Varroamilben zu
reduzieren. Man nennt diese Verfahrensweisen »biotechnische Methoden zur Reduktion der Varroamilben«. Diese klangvolle Umschreibung täuscht darüber hinweg, dass mit einer herausgeschnittenen Wabe bis zu 10.000 männliche Bienen getötet werden. Diese Bienen sterben dann tagelang vor sich hin oder werden bei lebendigem Leib im Wachsschmelzer gekocht. Zweifellos und in vielerlei Hinsicht stellt diese Praxis ebenfalls eine Tierrechtsverletzung dar. Zudem ist ein solcher Eingriff komplett überflüssig, denn das Übermaß an Varroamilben entsteht in erster Linie durch die Raumerweiterungen und Schwarmverhinderungen, also durch die moderne, auf Ertrag ausgelegte
Betriebsweise selbst.

Kommen wir zum dritten Kriterium, der Freiheit von Schmerz, Verletzung und Krankheit.
Ob Honigbienen Schmerzen empfinden, wissen wir nicht. Ihnen können aber Verletzungen zugefügt werden und sie können vermeidbar krank werden. Im Grunde führt jeder imkerliche Eingriff in die Bienenbeute zur Verletzung, Verkrüppelung und Tötung von einzelnen Bienen. Schon beim Aufsetzen des Honigraumes lässt es sich kaum vermeiden, dass einzelne Bienen, die auf dem Rand des Brutraumes sitzen, zerquetscht werden. Zur Bekämpfung der Varroamilbe kommen zahlreiche Mittel wie Ameisensäure zum Einsatz. Dabei werden die Bienen zwei bis drei Wochen lang Säuredämpfen ausgesetzt, was dazu
führt, dass viele Jungbienen halb geschlüpft verenden und sich die Bienen ihre hypersensiblen Fühler so intensiv zu reinigen versuchen, dass sie sich diese schließlich vom Kopf reißen. Die Fühler sind das sensibelste Organ, welches wir in der Zoologie
kennen. Mit den Fühlern können die Bienen z.B. Temperaturunterschiede von 0,1 Grad Celsius registrieren. Ihr Geruchssinn ist weitaus empfindlicher als der einer Hundenase.
Auch das Abquetschen von Königinnenzellen zur Verhinderung des Schwärmens gehört zu diesem Kapitel, wie auch das Totquetschen von Königinnen selbst, um künstlich jüngere,
produktivere Königinnen einzusetzen. Um das Schwärmen zu verhindern, werden vielerorts den Königinnen auch die Flügel beschnitten. Die Flügel sind mit kleinen Gefäßen durchzogen.
Ob das Beschneiden für die Bienen schmerzhaft ist, wissen wir nicht. Es handelt sich aber um eine schwerwiegende Verletzung. Sollte eine auf diese Weise verstümmelte Königin versuchen, mit einem Teil des Volkes zu schwärmen, stürzt sie ab und verendet langsam auf dem Boden. Ihr Volk ist dann weisellos – hat also zunächst keine Königin mehr. Die Arbeiterinnen kehren schließlich in den Stock zurück und bleiben dem Imker jedoch als »Honigproduzenten« erhalten. Letzteres ist auch die Begründung für diese tierrechtsverletzende Methode.
Wie schon erwähnt, erleiden die Bienen aber auch durch die Zuckerwasserernährung eine maßgebliche Gesundheitsschädigung. Sie verlieren alleine aus diesem Grund bereits etwa
ein Drittel ihrer Lebenszeit.

Hat denn der Imker mit seiner Kistenhaltung auch vermeidbare Krankheiten zu verantworten?
Ja, beispielsweise die Faulbrut. Diese ansteckende Bienenkrankheit ist erst zu einem Problem geworden, seit sich die Kistenhaltung etabliert hat. Nach den aktuellen Forschungsergebnissen sind die wilden Honigbienen nicht die Verteiler der Erreger. Prof. Jürgen Tautz hat dazu einmal erklärt: »Die Evolution hatte 45 Millionen Jahre Zeit,
um die Faulbrut als Krankheit zu besiegen und sah es nicht als notwendig an«. Das bedeutet im Klartext, die Faulbrut stellte für wildlebende Honigbienenpopulationen, welche in natürlichen Bedingungen leb(t)en, auch über Millionen von Jahren keine ernsthafte
Bedrohung dar. Im Gegensatz dazu führen u.a. Faktoren wie die von den Imkern zu verantwortende teils weit überzogene Bienendichte, die damit einhergehende Nahrungskonkurrenz und Räuberei, die Mangelernährung, die nicht artgerechte Kistenhaltung, die beständigen Manipulationen und artfremden Aufstellungsorte
zu gravierenden Nebenwirkungen. Zu den letzteren zählen eben auch die Begünstigung, sowie die Verbreitung von Seuchen. Zudem trägt auch der Handel mit Bienen und deren Produkten maßgeblich dazu bei, dass sich die Faulbrut schnell und über weite Strecken hinweg ausbreiten kann. Die wahren Gründe der Erkrankungen werden in der imkerlichen Ausbildung aber i.d.R. nicht thematisiert. Ganz gleich der Varroamilbenproblematik liegt der Fokus auf der Bekämpfung der Symptome selbst und mitnichten in der Behebung
der eigentlichen Ursachen. Teilweise beklagen sich einige Imker sogar, dass es überhaupt noch wildlebende Honigbienen gebe, weil man diese nicht auf Krankheiten prüfen könne. Es ist absurd und gleichsam Zeugnis der unzureichenden imkerlichen Ausbildung, dass gerade die systematischen Nebenwirkungen der Intensivtierhaltung der Honigbienen dazu genutzt werden, den Artenschutz zu torpedieren. In der Tschechei geht man sogar so weit, dass wildlebende Bienenvölker sofort getötet und die in der Nähe befindlichen Imker bestraft werden, weil sie das Schwärmen nicht verhindert haben. Dabei zeigen zahlreiche internationale wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema, dass die Krankheiten und Seuchen erst durch die Imkerei entstehen.
Auch der Befall mit Varroamilben wirkt sich bei den von Imkern gehaltenen Bienenvölkern verheerend aus, was zur Behandlung mit der schädlichen Säurebehandlung führt.
Den Bienen wird ihr Honigvorrat beständig weggenommen, wodurch sie in einen Notstandsmodus versetzt werden. Auch das Aufsetzen weiterer leerer Honigräume versetzt die Bienen in einen künstlichen Notstand. Das suggeriert den Bienen einen
Vorratsmangel. Sie sammeln und sammeln immer wieder Nektar, um ihren Wintervorrat an Honig aufzufüllen. Die so emsig erscheinenden Bienen kommen nicht zur Ruhe, um sich ihrer gegenseitigen Körperpflege zu widmen. Es ist beobachtet worden, dass Bienen im Ruhemodus die Varroamilbe bekämpfen können. Wildlebende Honigbienen haben nachweislich kein maßgebliches Problem mit der Varroamilbe. Die Varroatose bildet sich insbesondere durch die imkerlichen Manipulationen zur Ertragssteigerung und wird übrigens monatelang nicht behandelt, damit der noch zu erntende Honig nicht verunreinigt wird. Der ansteigende Leidensdruck der Völker wird also zugunsten der Produktgewinnung in Kauf genommen.

Das vierte Kriterium lautet: Freiheit von Angst und Leiden. Können Insekten überhaupt Angst und Leiden empfinden?
Auch hier gilt das, was ich oben zum Thema Unbehagen erklärt habe. Wenn man Angst darin erkennt, dass ein Tier Fluchttendenzen oder Notwehrtendenzen zeigt, dann empfinden auch Bienen Angst. Wenn man Leiden so definiert, dass das Tier in irgendeiner Weise so beeinträchtigt ist, dass es die instinktiv zu verrichtenden Bewegungen und Tätigkeiten nicht mehr ausüben kann, dann liegt zweifelsfrei ein Leiden vor. Ich filmte einmal eine Biene in Großaufnahme, deren Vorderbeine gelähmt waren und die zudem nur noch einen Fühler hatte. Die Lähmung stammt von dem Biss der Varroamilbe (acute paralysis virus) und den Fühler hatte sie sich mutmaßlich aufgrund der Ameisensäurebehandlung ausgerissen. Sie hat sich offensichtlich gequält. Solche Erscheinungen bzw. Eingriffe und Verlet-
zungen sind bei der Imkerei an der Tagesordnung. Auch dass beispielsweise von Varroamilben befallene Jungbienen diverse körperliche Schäden aufweisen und vielfach von vorneherein nicht überlebensfähig sind, gehört praktisch zu derselben sogenannten »guten imkerlichen Betriebsweise«, durch welche die Überpopulation der Parasiten maßgeblich erst entsteht.

Was sagen Sie zum fünften Kriterium, der Freiheit zum Ausleben normalen Verhaltens. Ist diese Freiheit nicht bei jedem Nutztier mehr oder weniger eingeschränkt?
Ja, da haben Sie Recht. Es kommt aber auch hier auf das vermeidbare Maß an. Ich habe schon oben einige Einschränkungen angeführt, die sogar zu Angst und Leiden führen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber noch die Bodenhaltung. Bienen wollen in der Höhe und nicht auf dem Boden Leben. Könnten sie ihre Behausung frei wählen, würden sie immer Baumhöhlen in der Höhe bevorzugen. Sie wissen instinktiv, dass das Leben am Boden Lebensrisiken in sich birgt. Das Klima ist feuchter, die Konzentration von Keimen ist höher und die Angriffsmöglichkeiten für honigliebende andere Tiere sind erleichtert. Wenn die Imker ihre Kisten auf den Boden stellen, arbeiten sie damit gegen die Urinstinkte der Bienen, die sich über 45 Millionen Jahre durch eine natürliche Selektion gebildet haben. Auch der Gebrauch von Großraumbeuten von weit über 80 Litern Raum-
inhalt erzeugt multiple Nebenwirkungen. Derart große Räume werden von den Bienen i.d.R. gemieden. Der Bienenforscher Tom Seeley hat nachgewiesen, dass Bienen Rauminhalte von 30 bis 40 Litern bevorzugen und lieber eine Behausung von nur 10 Litern wählen als eine mit 100 Litern. Es ist auch bekannt, dass Sammelbienen in den üblichen Imkerkisten extrem kurzlebig sind. Normalerweise überleben diese nur einige Tage, während die Sammelbienen in Baumhöhlen infolge der Entschleunigung des Gesamtumsatzes mehrere Monate leben können. Jonathan Powell (natural bee keeping trust) hat einmal gesagt, die Bienen würden von sich aus nie in das Honiggeschäft einsteigen. Der Preis sei viel zu hoch.


Sie haben anfangs auch erwähnt, dass die herkömmliche Imkerei Kollateralschäden verursacht. Wie ist das zu verstehen?
Die Bienenhaltung in Magazinbeuten, wie sie heute üblich ist, hat sich erst seit dem 2. Weltkrieg durchgesetzt. Sie besteht also nur einen Wimpernschlag der über 12.000 Jahre andauernden Imkereigeschichte. Vorher wurde den Bienen nur der Honig weggenommen, den sie über den Winter nicht gebraucht haben. Die heutige Art der Bienenhaltung sprengt die Grenzen der natürlichen Ressourcen und stellt eine historisch beispiellose Verschwendung von Nektarressourcen dar. Dadurch wird die Nahrungsgrundlage anderer Bestäuber angegriffen. Heute hat sich die totale Manipulation der Honigbiene für den maximalen Honig-Output durchgesetzt.
Ich möchte an dieser Stelle besonders auf den Energiedurchlauf eingehen, der in der Imkerkiste um ein Vieles höher ist als in einer Baumhöhle, welche die Bienen bei freier Wahl immer bevorzugen würden. Bienen ernähren sich von ihrem angelegten Honigvorrat. Sie halten die Temperatur in ihrer Behausung stets konstant auf ungefähr 36 Grad Celsius. Die Energie, die sie für diese körperlich anstrengende Arbeit umsetzen müssen, besteht aus Honig bzw. Nektar. In einer Baumhöhle, wie auch in einem historischen Strohkorb, ist der Honigbedarf wesentlich geringer als in einer modernen Bienenbeute. Große Volumina,
Dünnwandigkeit, exponierte Standorte auf den Dächern einer Stadt treiben den Nektarumsatz unnötig in die Höhe. Prof. Jürgen Tautz hat durch wissenschaftliche Untersuchungen gezeigt, dass bis zu 300 kg Honig in Magazinbeuten durchlaufen, von
denen der kleinste Teil – ca. 25 bis 30 kg – letztlich in Honiggläsern landet. Die übrige Honigmenge wird von den Bienen als Energieträger verbraucht. 4 Der Jahresbedarf eines Bienenvolkes in einer Strohbeute oder Baumhöhle beträgt hingegen nur etwa 1530 kg. Die Sammelleistung dieser Bienen ist also extrem geringer. Den Honig gewinnen die Bienen aus dem gesammelten Nektar. Der wird dehydriert, bis der Wassergehalt nur noch 20% beträgt. Sie fügen dem Nektar noch einige Zusatzstoffe hinzu, insbesondere antibiotische Substanzen. Für 1 kg Honig benötigen die Bienen 3 bis 4 kg Nektar. Bei einem Durchsatz von 300kg Honig sind dies dann 900 bis 1.200 kg Nektar. In Berlin haben wir inzwischen eine Dichte von 20 Bienenvölkern auf ein km². Das bedeutet, dass die Bienen auf ein km² ca. 20 Tonnen Nek
tar sammeln müssten. So viel Nektar hat die Stadt nicht, selbst wenn man berücksichtigt, dass dort in den wärmeren Monaten übergreifend blühende Pflanzen zur Verfügung stehen. Dieses System läuft nur über die Zufütterung mit Zuckerwasser. In

Berlin werden teilweise sogenannte Stadtbienenkisten mit 170 Litern Inhalt verwendet, die teilweise oben auf Dächern in praller Sonne stehen und den Bienen extreme körperliche Arbeit zur Klimatisierung abverlangen, um die Innentemperaturen auf nicht mehr als 36 Grad ansteigen zu lassen. Sogar auf dem Dach des Reichstages stehen – entgegen dem Tierwohl – Magazinbeuten als umweltpolitische Mahnung. Zusätzlich zu der viel zu hohen Zahl der Stadtbienenvölker karren im Sommer nach der Haupttracht noch Imker aus dem Umland bis zu 4.500 Bienenvölker nach Berlin, weil dank der intensiven Land wirtschaft
in der ländlichen Umgebung keine nektartragenden Pflanzen mehr zu Verfügung stehen.Das führt zu Bienendichten von bis zu 23 Völkern pro km². Tom Seeley hat bei seinen Forschungen im Arnot Forest (Ithaca, NY) herausgefunden, dass eine natürliche Balance bei nur einem Bienenvolk pro km² besteht. Das macht deutlich, dass speziell in Berlin eine gravierend zu hohe Bienendichte herrscht.

Hat denn das Folgen, außer dass die Bienen zugefüttert werden müssen?
Ja, die Wildbienenarten, zu denen auch die Hummeln gehören, verhungern. Dazu muss man wissen, dass die Honigbienen in einer natürlichen Dichte und Balance weniger als 1 % der nektartragenden Pflanzen beanspruchen, während über 99 % von der Vielfalt der Hunderten anderen Bestäuber als Nahrungsgrundlage gebraucht werden. Hinzukommt, dass die Bienen blütenstet fliegen und dadurch eine hohe Bestäubungsquote erreichen. Wildbienen fliegen dagegen willkürlich auch unterschiedliche Blüten an, die u. U. keine gegenseitigen Befruchter sind. Daraus folgt, dass die von Bienen angeflo genen und befruchteten Blü
ten recht schnell ihre Nektarproduktion einstellen und für die Wildbienen nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Blütentracht in Berlin gestaltet sich durch die hohe Bienendichte demnach kurzzeitig, und für die anderen Bestäuber bleibt kaum etwas übrig. Und das, obwohl die Wildbienenarten gegenüber den Honigbienen schon deshalb benachteiligt sind, weil sie keine Staatenbildung haben und keine Kommunikation und Vorratsbildung wie die Honigbienen. Zudem verfügen diese besonders geschützten Wildbienenarten meist nur über einen Flugradius von wenigen hundert Metern. Honigbienen hingegen können ihren Sammelradius auf bis zu 10 km ausdehnen. Dies führt zueinerverheerendenVerdrängungderWildbienenarten.1980 zählte man in Deutschland noch 610 Wildbienenarten.
2011 waren es nur noch 560. Es liegt nahe, dass es jetzt im Jahr 2022 noch weniger geworden sind. Die in Berlin lebenden ca. 300 Wildbienenarten sind streng geschützt. Man fragt sich, ob sie alle noch existieren. Seit elf Jahren hat es keine Auszählung gegeben. In Anbetracht dessen drängt sich die Notwendigkeit einer Regulierung der Imker- bzw. Bienendichte geradezu auf. Im Gegensatz zur streng reglementierten Fischerei kann sich
in Deutschland ohne Rücksicht auf die vorhandene Bienendichte jeder Bienen halten, auch wenn dies zum Schaden oder gar zum Aussterben anderer Insektenarten führt. Wir schützen die Bienen mit der Bundesartenschutzverordnung zwar gegen das händische Töten, nicht aber gegen das Aushungern durch die Imkerei. Die Menge, die an Nektar in einer Region produziert wird, ist zweifellos begrenzt. Wie kann dann eine unreglementierte Anzahl von Menschen, die sich an dieser alternativlosen Nahrungsquelle der systemrelevanten Bestäuberinsekten bedient, richtig, sinnvoll oder nachhaltig sein?

Diese Erkenntnisse dürften auch in der Politik weitestgehend unbekannt sein. Wie könnte man denn das System wieder ins Gleichgewicht bringen?
Ich bin Mitglied in dem Verein »beenature save the bees e.V.«, der sich mit Renaturierungsprojekten befasst und erfolgreich aufzeigt, dass die Honigbiene wild sehr wohl überlebensfähig ist. Es bedarf also nicht der Imkerei, um die Honigbiene zu schützen und zu erhalten. Und Honig ist auch kein Lebensmittel im eigentlichen Sinne, sondern ein reines Luxusgut, denn kein Mensch benötigt Honig zum Überleben. Wir schlagen eine strenge Regulierung der Imkerei und ein generelles Verbot der Zufütterung vor, die zu einer unnatürlichen Bienendichte beiträgt. Nicht der Bestand der Honigbiene ist gefährdet, sondern der Bestand der Wildbienenarten.

Vielen Dank, Herr Schiffer, für diese interessanten undaufrüttelnden Ausführungen! ◼

Gert Wegner
Gert Wegner ist Vorstandsmitglied von Bündnis 90/Die Grünen
Ostprignitz Ruppin. Er hat in Neuruppin den Vortrag mit Torben Schiffer
organisiert und im Nachgang das Interview gemacht hat.
buendnisgruenes-opr.de

Torben Schiffer
Torben Schiffer ist Biologe und Bienenforscher. Er hat nachgewiesen
dass Bücherskobione Varroamilben in großer Anzahl fressen. Er ist
wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Würzburg im Team
Hobos (honey bee online studies) unter der Leitung v. Prof. Jürgen Tautz.
2014 gründete er den gemeinnützigen Verein »Beenature – Save the Bees –
Verein zur Rettung der Honigbienen e.V.«

beenature save the bees e.V.
Ziel des Vereins ist Bienenvölker von sämtlichen imkerlichen Kriterien
und aus der Nutztierhaltung selbst zu befreien! Außerdem setzt sich der
Verein für die Substituierung des verlorenen Lebensraums, artgerechte
Lebensbedingungen und natürliche Selektion ein.
(Wissenschaftliche Quellenbelege sind im Heft zu finden.)

Quelle
Die Freilerner – Zeitschrift für selbstbestimmtes Leben und Lernen
https://freilerner.de/produkt/heft-95-abschluesse-und-berufswege/

Autor
Gerd Wegner, Torben Schiffer

Kategorien: Medienbeiträge