Das Niederländische Institut für Ökologie in Wageningen betreibt Grundlagenforschung zu Bodenökologie und Landnutzung.

Ein wissenschaftliches Institut, das dem Cradle-to-Cradle-Prinzip verpflichtet ist, forscht zur Rolle des Menschen als »Nützling«.

Schon aus der Ferne leuchten die helle, hölzerne Fassade und die vielen Glasflächen vor dem tiefblauen Himmel in der Mittagssonne. Im Wassergraben, der das Gebäude umgibt, fischen einige Haubentaucher nach Kleintieren. Am Eingang angekommen, öffnet sich mir die automatische Schleuse aus gläsernen Schiebetüren. Erst nachdem sich die ersten Türen wieder geschlossen ­haben, kann ich die große, von Licht durchflutete Lobby betreten.
Am Niederländischen Institut für Ökologie der Königlichen Akademie der Wissenschaften (NIOO-KNAW) beschäftigen sich rund 220 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit grundsätzlichen Fragen ökologischer Zusammenhänge. Besonders ist am NIOO die Langfristigkeit der Untersuchungen: Das älteste Forschungsprojekt läuft bereits seit über 50 Jahren. Ich bin mit Olga Kostenko von der Abteilung für Bodenökologie verabredet. Dort will man herausfinden, wie das mikrobiologische Geschehen auf Pflanzen mit dem unterirdischen Geschehen zusammenhängt und welche Rolle diese Zusammenhänge für das Ökosystem als Ganzes spielen.
In ihrer Doktorarbeit ging Olga Kostenko der Frage nach, welche Faktoren darüber entscheiden, wie stark Pflanzen derselben Art – ihr Beispiel war das für Nutztiere giftige Jakobs-Kreuzkraut – in unmittelbarer Nähe zueinander von Insekten und anderen Krankheitserregern befallen werden. »Die Konzentration einer bestimmten Pilzkultur im Boden entscheidet über die Gesundheit des Krauts«, erläutert sie den Kern ihrer Ergebnisse. Dieser Zusammenhang, so Kostenko, sei vielen Landwirten und Hobbygärtnern prinzipiell bekannt, wissenschaftlich wisse man darüber bisher jedoch sehr wenig: Je stärker eine Pflanze von Insekten und Mikroben befallen ist, desto deutlicher verändert sich vermutlich auch die chemische Zusammensetzung des Bodens. Diese fördert oder behindert die untersuchte Pilzkultur, so dass dieselbe Pflanzenart an derselben Stelle im folgenden Jahr deutlich schlechter oder deutlich besser wächst. Diese Übertragbarkeit des an der Pflanze entstandenen Schadens von einer Saison und Pflanzengeneration zur nächsten, herbeigeführt durch die im Boden verbleibende Pilzkultur, ist das eigentliche Neue an Olga Kostenkos Erkenntnissen.

Aus der Logik dieser Wechselwirkungen zwischen Pflanzen, Insekten und Boden ergeben sich für die Praxis verschiedene Anwendungsmöglichkeiten. Die Giftigkeit einer Pflanze ist stets ein Schutzmechanismus, dessen Aufrechterhaltung sie Energie kostet. Wird beispielsweise eine bestimmte Pilzart im Boden gezielt »kultiviert«, hat die Pflanze weniger Energie, um ihr Gift zu produzieren, und würde so verträglicher für Nutztiere. Umgekehrt könnte eine bewusst geringere Konzentration der Pilzkulturen im Boden für kräftigere, gesündere Pflanzen sorgen, die sich durch ihre so gestärkte, natürliche Giftigkeit besser vor Insekten und Raupen schützen könnten.
Olga Kostenko betont jedoch, dass noch viele weitere Untersuchungen mit anderen Pflanzen, anderen Insekten und anderen Böden notwendig sein werden, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen Boden, Pflanzen und Insekten besser zu verstehen. Die Freiheit der Grundlagenforschung von Verwertungsinteressen sei dabei besonders wichtig. Bei dieser Frage geht die niederländische Regierung aktuell neue, alte Wege: Jüngst empfahl eine Kommission der drei größten Wissenschaftsakademien im Land, die Anzahl der Publikationen eines Instituts aus den Evaluationskriterien des Bildungsministeriums zu streichen.
 

Eingebettet in die Umgebung

Anfang 2011 ist das NIOO-KNAW in ein neues Gebäude umgezogen, das vom Fundament bis zur Giebelspitze ökologisch durchdacht ist. Maßgebend bei Entwicklung und Bau war das Cradle-to-Cradle-Prinzip, das der Chemiker Michael Braungart entscheidend geprägt hat (siehe Interview in Oya Ausgabe 24). Anstatt sich auf die Reduzierung negativer Auswirkungen zu konzentrieren, fragt das Cradle-to-Cradle-Prinzip, wie die Produktivität des Menschen ein wertvolles »Mehr« für das Ökosystem seiner Umgebung erzeugen kann. Der Neubau des NIOO-KNAW glänzt durch geschlossene Stoffkreisläufe. Sein Toilettensystem – ein Vakuum-Spülsystem, wie man es sonst aus ICE-Toiletten kennt – verbraucht nur einen Bruchteil der üblichen Wassermenge. Die Fäkalien werden einem Fermentationsprozess ausgesetzt, bei dem Biogas entsteht, das direkt der Energiegewinnung zugutekommt. In weiteren Stufen wird das Abwasser mit Hilfe von Algen – deren Fähigkeiten gleichzeitig Forschungsgegenstand sind – gereinigt und später durch einen großen Filter aus Erdschichten ins Oberflächenwasser geführt. »Abfall« gilt im Cradle-to-Cradle-Ansatz grundsätzlich als nutzbare Energie. Insgesamt ist das ganze Gebäude so angelegt, dass es sich im Lauf der Zeit wandeln und weiterentwickeln kann, genau wie in der Natur entstehende Ökosysteme.
 

Waldgarten als Prototyp

Die neueste Ergänzung auf dem Gelände sind zwei unscheinbare, frisch bepflanzte Flächen, die eine direkt am Parkplatz für Mitarbeiter, die andere hinter dem Hauptgebäude. »Der Waldgarten ist ein kürzlich auf Initiative der Mitarbeiter gestartetes Projekt, das Prototyp und Forschungsfeld ist«, erklärt mir Ciska Veen, die den »Voedselbos« mit ihrem Kollegen Jasper Wubs und anderen pflegt. Gemeinsam mit den Landschaftsarchitekten von »Food Forestry Netherlands« teilten sie den Garten in drei Zonen: einheimische Pflanzen (etwa Haselnuss, Walderdbeere oder Linde), vor der letzten Eiszeit einheimische und zum Teil redomestizierte Pflanzen (Pimpernuss, Weintraube) und seit über 500 Jahren in Nordeuropa kultivierte Pflanzen, die heute vielfach als einheimisch gelten (Äpfel, Birnen, Meer­rettich). Die Forscher wollen zeigen, was auf kleinen Flächen und mit vergleichsweise wenig Aufwand möglich ist, und die von Befürwortern des Waldgartens behaupteten positiven Effekte wissenschaftlich nachvollziehen. Ciska Veen erzählt, dass es in kleineren Kommunen in Vororten von Nimwegen, Utrecht und Rotterdam bereits Waldgärten auf öffentlichen Flächen gebe, die mit Unterstützung durch Food Forestry Netherlands entstanden seien – und immer von engagierten, in lokalen Initiativen organisierten Menschen auf die Beine gestellt wurden. Die aus der Permakultur bekannten Prinzipien der Vielfalt, Partizipation und Offenheit spielen in Waldgärten eine zentrale Rolle.
 

Wir haben keine andere Wahl

»Die natürlichen Phosphatreserven werden in spätestens 80 Jahren aufgebraucht sein. Phosphor ist einer der Grundstoffe jedes organischen Lebens, es ist in unserer DNA, und jede Pflanze braucht es zum Wachsen. Für die Ernährung der Weltbevölkerung haben wir gar keine andere Wahl, als unsere Stoffkreisläufe zu schließen, um den Böden Phosphat und andere Nährstoffe zurückzugeben.« Louise Vet ist die engagierte Direktorin des NIOO-KNAW, und das Thema Phosphat ist ihr ein besonderes Anliegen. Sie führt aus, dass der Weltmarktpreis bereits jetzt starken Schwankungen unterliege und dass Phosphat nach Öl, Gas und Wasser bald der begehrteste natürliche Rohstoff sein werde. »Das Prinzip unserer heutigen Ökonomie, das im Kern auf ›Mehr, Mehr, Mehr!‹ und auf großen Monokulturen beruht, existiert in der Natur einfach nicht«, sagt Louise Vet mit klarer Stimme. »Um im Sinn des Crade-to-Cradle-Prinzips ›einheimisch auf der Erde‹ zu werden, müssen wir uns an Grundgesetzen der Natur orientieren: ­lokale Vielfalt, Energie von der Sonne und das Schließen von Stoffkreisläufen.« Grundlagenforschung wie die von Olga Kostenko sei dabei wichtig, um genau diese Kreisläufe besser zu verstehen.
Am Ende wirkt Louise Vet nachdenklich. Die Idee, die Menschheit unabhängig von der Natur zu betrachten, sei ein Irrglaube. Genau das Gegenteil sei der Fall: »Wir sind die Natur!« 

Quelle
Oya – anders denken. anders leben, Ausgabe 26
http://www.oya-online.de/article/read/1306-wir_sind_die_natur.html?omit_overlay=544a4a38ebd16

Autor
Johannes Hoffenreich

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Kategorien: Humusrevolution