Die wohl ältesten Anbausysteme der Menschheit dürften ­Waldgärten gewesen sein. Ein Blick zurück in ­die Zukunft.

Gutes Leben verlangt nach Bäumen: Sie leisten einen großen Beitrag dazu, der Atmosphäre Kohlenstoff zu entziehen, schaffen reiche Biotope und stärken lokale Ernährungssouveränität. Wenn wir uns heute mit Agroforstsystemen auseinandersetzen, lohnt es sich, einen Blick auf ihre Geschichte zu werfen. Es ist die ­Geschichte einer Polykultur, von ökologisch höchst vielfältigen Zonen – und deren Negierung durch die Monokultur.
In den Tropen ist sie hochaktuell: Die kleinbäuerlichen Waldgartensysteme, auch »Home Gardens« genannt, wurden und werden immer noch von Soja-, Mais-, oder Palmöl-Monokulturen verdrängt. In den gemäßigten Breiten überstreicht diese Geschichte die letzten Jahrtausende, Jahrhunderte und Jahrzehnte. In einem aktuellen Buchprojekt versuche ich, diese Geschichte ans Licht zu holen. Sie ist eine Geschichte der Vereinheitlichung von Anbausystemen, von Fläche, von Arbeitspraktiken, verordnet von einer zentralen Stelle. Dieser zentrale und vereinheitlichende Akteur war, wie der Anthropologe James C. Scott ausführte, historisch gesehen stets der Staat (oder seine Vorläufer) – seine Macht beruhte auf der Eintreibung von Steuern. Für diese benötigte er einheitlich gestaltete Felder, deren Ertrag leicht zu errechnen war, deren Früchte zudem kalorienreich, lange haltbar, leicht zu wiegen und einzuteilen waren: Getreide. Selbstverständlich wurde nicht nur in Staaten Ackerbau betrieben, aber in einem Staat tendierte er stets in Richtung Monokultur, während sich außerhalb von Staatsstrukturen eher Polykulturen ausbildeten. Die Geschichte des monokulturellen Ackerbaus ist also eng an die Geschichte von Staaten geknüpft, genauso wie Staatsstrukturen eine Vereinheitlichung des gesellschaftlichen Lebens erzeugten. Die heutige Geschichtsschreibung, nach der die Vorteile des Ackerbaus eine arbeitsteilige Gesellschaft und Zivilisationen hervorgebracht haben, zäumt das Pferd also von hinten auf. Es ist genau umgekehrt: In der Jungsteinzeit aufkommende staatliche Hierarchien beförderten den monokulturellen Ackerbau und negierten die vorherigen Polykulturen und gesellschaftlichen ­Polytechniken. Die Staatsmacht drückte sich in den in seinen Speichern angehäuften Getreidevorräten aus, die dem energetischen Antrieb der Sklavenarbeit dienten. Aus dieser Perspektive gesehen, lässt sich erahnen, welche alternativen Formen der Zivi­lisation jenseits monokultureller Vereinheitlichung bestanden haben und in der Entwicklung möglich gewesen wären.

Japanische Friedenskultur
Betrachten wir das früheste uns bekannte dieser Polykultursysteme und gehen dafür in das Japan der Jōmon-Kultur um 13 000 v. u. Z.: Während Europa nach der Eiszeit bis etwa 12 000 v.u. Z. baumfrei war, wiesen die japanischen Inseln die meiste Zeit über eine flächendeckende Bewaldung auf. Seit etwa 20 000 Jahren herrscht eine ähnliche Vegetation wie heute – und diese beinhaltet die Japanische Esskastanie (Castanea crenata) und andere Nussbäume, wie die Japanische Walnuss (Juglans ailantifolia). Die Esskastanie gilt vielen als die schon seit der Altsteinzeit am meisten kultivierte Nutzpflanze Japans, mindestens aber seit der Mittelsteinzeit. Auch einige der ältesten Keramikgefäße der Welt entstammen der Jōmon-Kultur. Der Anfang der Jōmon-Zeit wird auf die ersten Funde der Schnurbandkeramik datiert. ­Keramik ist ein sicheres Zeichen für eine – zumindest zeitweise – Sesshaftigkeit, denn die schweren Keramikbehältnisse sind für lange Wanderschaften unpraktischer als andere Behältnisse, wie Tierblasen. Die Radiokarbonmethode datiert den Ruß, der der frühesten Jōmon-Keramik anhaftet, auf 13 700 v. u. Z. Zum Vergleich: Im fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens, der gemeinhin als Wiege der Zivilisation angesehen wird, wurde gebrannte Keramik erst ab etwa 6500 v. u. Z. nachgewiesen. Vermutlich wurde solche Keramik auch genutzt, um darin Esskastanien zu lagern. Die kalorienreichen Baumfrüchte ermöglichten wohl schon in der Altsteinzeit eine Lebensweise, wie sie in Teilen der Nordhemisphäre erst in der Mittelsteinzeit üblich werden sollte. DNA-Analysen der Japanischen Esskastanie zeigen, dass der Beginn ihrer Kultivierung in einen ähnlichen Zeitrahmen fiel wie die erstmalige Keramikherstellung. Heutige Ertragsanlagen der Japanischen Esskastanie kommen auf eine Ausbeute von bis zu zehn Tonnen pro Hektar, was fast doppelt so viel ist wie bei den anderen Arten, und sich aus der deutlich längeren Phase erklären lässt, während der sie sich in Züchtung befand.
Während sich im Nahen Osten mit dem Beginn des Getreidebaus die Gesellschaft deutlich vertikal schichtete – was anhand zunehmender Differenzierung in der Größe der Wohnhäuser sichtbar wird –, ist bei den Jōmon durchgehend von einer egalitären Gesellschaftsform auszugehen; hier gibt es keine signifikanten Unterschiede in den Größen der Wohnhäuser und keine Funde von Waffen, die gegen Menschen eingesetzt werden konnten. Die Vielfalt der Waldgärten benötigte eine Vielfalt an Techniken, so dass es zu keiner Vereinheitlichung kommen konnte. Die Ackerbaukultur des Nahen Ostens hingegen stieß schon nach wenigen Jahrhunderten an die Grenzen ihrer ökologischen Tragfähigkeit – darunter ernsthafte Bodenprobleme, wie Versalzung durch Bewässerung der Äcker, und ein starkes Bevölkerungswachstum, das staatlich verordnet worden war, um über mehr Arbeiter auf den Feldern und beim Bau staatlicher Infrastruktur zu verfügen. Demgegenüber weist die Jōmon-Kultur eine zehntausendjährige, erstaunlich gleichmäßige Geschichte auf. Werfen wir also einen genaueren Blick auf deren Polykulturen: Vermutlich entstanden hier Waldgartensysteme; Gärten wurden angelegt, in denen die Esskastanien und andere Bäume, die eigentlich dichte Wälder bilden, die Grundlage darstellten. Indem sie weit auseinander gepflanzt wurden, konnten unter ihnen andere Nutzpflanzen wie Holunder, Trauben oder Maulbeeren gedeihen. Deren Früchte wurden roh gegessen und in Gemeinschaftsarbeit zu Obstwein versaftet.
Als Gemüsepflanze wurde unter anderen die Japanische Pestwurz (Petasites japonicus) angebaut, die attraktiver aussieht und schmeckt, als es ihr Name vermuten lässt. Mit ihren riesigen Blättern erzeugt sie eine Bodenschicht im Wald, die tropisch anmutet. Die einzelnen Blätter sind so groß, dass sie in Japan traditionell als Regenschirme für Kinder benutzt wurden. Gegessen werden ihre Stengel (ähnlich wie Rhabarber) und die Blütenstände, die im Frühjahr ähnlich groß sind wie eine Artischocke. Auch die sehr stärkehaltige Knollenpflanze Kudzu (Pueraria montana) wurde angebaut, ebenso wie Taro (Colocasia esculenta) und die Lauchart Allium macrostemon.
Durch die angelegten Waldgärten entfiel weitgehend das Durchstreifen der Wälder auf der Suche nach einer bestimmten Medizinalpflanze oder nach Wurzelgemüsen, Früchten oder Salatpflanzen. Generell hatte die gemeinsame Arbeit für die ­Anlage eines Gemeindevorrats einen wichtigen Stellenwert, wie das ­Nationale Museum der japanischen Geschichte betont. Alles wuchs nun im direkten Umkreis der Dörfer in den Waldgärten – eine Manipulation der Natur, die doch so nahe an der natürlichen Vegetation war, dass sie keine negativen Auswirkungen auf die Böden oder das Kleinklima hatte, geschweige denn auf das globale Klima. Sicherlich stellt diese Manipulation durch den Menschen auch eine Simplifizierung der natürlichen Komplexität dar, sie bewirkt aber keinen Ausschluss, wie es stets das Ideal der Monokultur ist. In einem Polykultursystem wie dem Waldgarten tut der Mensch nichts anderes, als es andere Lebewesen auch tun: Sie gestalten die Landschaft nach ihren Vorlieben und Interessen, ohne dabei auszuschließen, dass andere Lebewesen das gleiche tun. Wenn das Eichhörnchen vergrabene Eicheln oder Esskastanien in seinen Verstecken vergisst, dann legt es damit auch Waldgärten mit genau denjenigen Baumarten an, die ihm am besten taugen, und wenn die Pilze den unterirdischen Nährstoffaustausch zwischen den Pflanzen regeln, dann tun sie das nicht ohne Eigeninteresse, nicht ohne eigene Gestaltung, nicht ohne Bevorzugung jener Baumarten, mit denen sie am besten zurechtkommen, aber dennoch stets so, dass es auch anderen Lebensformen zugutekommt. In einem Waldgarten stellt sich somit der Mensch – anders als beim Anlegen von Monokulturen – nicht außerhalb des Netzwerks des Lebens.

Ging ein Weiblein Nüsse schütteln …
Auch in Mitteleuropa entwickelten sich etwa zeitgleich mit den ersten Äckern im Nahen Osten hölzerne Polykultursysteme mit der Hauptkultur Haselnuss – also »Buschgärten« anstatt »Waldgärten«. Ausgrabungen am inzwischen verlandeten norddeutschen Duvensee belegten die immensen Mengen an Haselnüssen, die damals dort angebaut und genutzt worden sein müssen. Ganze Erdschichten aus geknackten Haselnussschalen waren dort auffindbar, dazu Gerätschaften zum Knacken und zum haltbarkeitsfördernden Rösten der Nüsse. Anhand der Menge von Haselpollen in Seesedimenten lässt sich auf die Größe der Haselnussbestände schließen und darauf aufbauend berechnen, wie viele Haselnüsse pro Jahr bei unbegrenzter Arbeitszeit hätten gewonnen werden können. Die Archäologin Daniela Holst kam zu dem Ergebnis, dass das Erntepotenzial noch höher war als die tatsächlich geerntete Menge. Es handelte sich also um eine Landbauökonomie des Überschusses, und diese hätte jede Politik eines privilegierten Zugangs zu Ressourcen ad absurdum geführt. Auch zeigt Daniela Holst, wie effizient die Nutzung der Haselnuss im Vergleich von Arbeitszeit und Kaloriengehalt war: »Bei einem angenommenen Tagesbedarf von 2500 kcal bräuchte eine Person weniger als drei Tage, um ihren Monatsbedarf (75 000 kcal) zu erwirtschaften, wollte sie sich ausschließlich von Nüssen ernähren. Geht man von einer Erntesaison von 14 Tagen aus, könnte eine Person in dieser Zeit gut 44 Prozent ihres Energiejahresbedarfs allein durch Haselnüsse decken!« Die Kalorienausbeute pro Arbeitszeit fiel beim Getreide deutlich schlechter aus, denn die Felder mussten jedes Jahr eingesät, über das Jahr hin bewässert und unkrautfrei gehalten sowie vor Wildtieren geschützt werden; dazu kam noch manches mehr, bevor es überhaupt zur Ernte kommen konnte. Die Vorteile der Arbeitsorganisation des Getreideanbaus sind wiederum nur aus dem Blickwinkel des Staats zu verstehen: Sie fällt gleichmäßig über das Jahr verteilt an, während das gesamte Feld zu einem Zeitpunkt beerntet wird, zu dem der Staat vorbeikommen kann, um seine Steuer – den »Zehnten« – einzutreiben.
Schon die frühen Staaten konnten aufgrund der Getreidemengen aus ihren Monokulturen enorme Macht generieren und zu baulichen Höchstleistungen, wie den Pyramiden, gelangen. Was sie aber nicht konnten, war, flexibel auf (Umwelt-)Problematiken zu reagieren, denn die landwirtschaftlichen Monotechniken waren zu starr, um sich an neue Gegebenheiten anzupassen. So gingen die einst großen autoritären Imperien aufgrund von Bodenübernutzung und anderen Problemen wieder unter. Neue agrarische Erfindungen und Anpassungen an neue Gegebenheiten hingegen fanden größtenteils außerhalb der staatlichen Gebiete statt, wo sich eine lokal stets unterschiedliche Polytechnik entwickeln konnte. Heute stehen wir mit dem Klimawandel vor dem, global gesehen, größten Umweltproblem der Menschheit. Ich bin überzreugt, dass wir es nicht mit staatlich vorgegebenen, einheitlichen und starren (land- und forstwirtschaftlichen) Praktiken lösen werden, sondern mit den vielfältigen Techniken der kleinbäuerlichen Polykulturen (die für lokale Stoffströme flächenproduktiver sind als es die Monokulturen der »grünen Revolution« je sein werden) und einer von indigenen und den bäuerlichen Gemeinschaften kontrollierten Forschung daran.

Würden nicht die heutigen Besitzverhältnisse im Weg stehen, spräche nichts dagegen, heute wieder an die verlorene Geschichte der Polykulturen und die damit einhergehenden, nicht-abstrakten Verhältnisse anzuknüpfen. In meiner Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Monokultur fand ich, dass es die gesamte Ökonomie durchzieht. Es raubt uns nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit, indem es den Orten und den menschlichen und ökologischen Gemeinschaften, die es vereinheitlicht, ihre geschichtlich gewachsenen Eigenheiten raubt. An beiden Enden des Zeitstrahls wird also Leben gestohlen, weil das menschliche Tun einer Monotonie der Wertvermehrung unterworfen worden ist. Es gilt, sich dem zu widersetzen und für das Lebendige zu streiten.

Quelle
Oya, Ausgabe 51
https://oya-online.de/article/read/3067-am_anfang_war_die_esskastanie.html

Autor
Florian Hurtig
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Kategorien: Humusrevolution